René Löffler, Ungestraft aus der Kirche austreten?

Der staatliche Kirchenaustritt in kanonischer Sicht (Forschungen zur Kirchenrechtswissenschaft Band 38), Würzburg 2007, 429 S.

Bereits der Titel "Ungestraft aus der Kirche austreten?", den René Löffler für seine Studie, welche im Wintersemester 2005/2006 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation angenommen wurde, gewählt hat, weist einen provokanten Unterton auf und mag auch Nicht-Kirchenrechtler aufhorchen lassen. Mit ihm macht der Verfasser einerseits auf die Brisanz und Aktualität dieser Fragestellung aufmerksam, andererseits weist er zugleich auf die unklare Rechtslage hin, die derzeit in bezug auf die Einordnung des Kirchenaustritts virulent ist. Es stehen sich hierbei die Auffassung der PCI, die einem Rundschreiben vom 13. März 2006 zu entnehmen ist und besagt, dass der juristisch-administrative Akt des Kirchenaustritts nicht eo ipso als Abfall von der Kirche zu werten sei, sowie die konträre Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz vom 24. April 2006 gegenüber. Um den "Betrachter des Geschehens" nicht "mit einer gewissen Ratlosigkeit" (17) zurückzulassen, ist es Ziel der Studie, den Kirchenaustritt in die Rechtsordnung der katholischen Kirche einzuordnen (18). Dies erfolgt in drei Kapiteln, die das Phänomen des Kirchenaustritts aus je unterschiedlichen Perspektiven betrachten und bewerten. Zu Beginn des ersten Kapitels untersucht Löffler die quantitativen und qualitativen Aspekte des Kirchenaustritts, wobei er sehr präzise zahlreiche systematische Erhebungen einarbeitet und u. a. resümiert, dass sich der Kirchenaustritt zahlenmäßig auf "hohem Niveau" bewege (46), er heute "gesellschaftlich akzeptiert" sei, sich aber letztlich die ihm zugrundeliegenden Motive nicht vereinheitlichen ließen (47).

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Der zweite und abschließende Teil des ersten Kapitels hat die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Kirchenaustritts zum Gegenstand. Ausgehend von den historischen Wurzeln (48) bis hin zur Entwicklung des Kirchenaustrittrechts in Deutschland (69ff.) erfolgt eine umfassende historische Betrachtung, die, obgleich sie umfänglich alle rechtlichen Grundlagen zum Kirchenaustritt benennt, ein Gespür dafür erkennen lässt, Wesentliches detailliert und Bekanntes in der gebotenen Kürze zu behandeln.

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Die Tatsache, dass das Grundgesetz in Art. 140 i. V. m. Art. 137 I WRV ein Staatskirchentum ausschließt, sich praktisch das Verhältnis von Kirche und Staat jedoch als "hinkende Trennung" geriert, hat zur Folge, dass sich Berührungs- und Kollisionspunkte nicht vermeiden lassen. In diesen Kontext sind etwa das in Art. 137 III 1 WRV normierte selbstständige Ordnen und Verwalten der Religionsgesellschaften, die Neutralitätspflicht des Staates sowie der Schrankenvorbehalt des Art. 137 III 1 WRV zu nennen. Löffler betrachtet diese Themen im zweiten Kapitel aus staatskirchenrechtlicher Sicht, wobei er mit der Kirchenmitgliedschaft, die ihrerseits als eigene Angelegenheit der Religionsgemeinschaften anerkannt ist (73), beginnt. Die theologisch bzw. kanonistisch höchst komplexe und vielschichtige Thematik der Gliedschaft in der katholischen Kirche behandelt der Verfasser ausgehend vom Bellarminschen Zugehörigkeitsverständnis, der "Tria-vincula-Lehre" (78), über den Ansatz Mörsdorfs (79) bis hin zum CIC/1983 (80) in komprimierter Form und dennoch für Nicht-Theologen verständlich. Sodann thematisiert er die Grenzen des Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften, namentlich die Grundrechte anderer sowie die Schrankenformel des Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 III 1 WRV, wobei sich sowohl die Auslegung der Schrankenformel (89, 94ff.) als auch die Auflistung der einschlägigen Grundrechte an der vorherrschenden staatskirchenrechtlichen Lehre bzw. Rechtsprechung orientiert. Eine weitere eigene Angelegenheit i. S. v. Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 III 1 WRV ist die Beendigung der Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft. Dass weder die katholische noch die evangelische Kirche ein Austrittsverfahren kennen, der Staat aber aufgrund der durch Art. 4 I GG gewährten negativen Religionsfreiheit gehalten ist, dem Bürger einen "Kirchenaustritt" zu ermöglichen, macht diesen zu einem "staatlichen Rechtsinstitut" (123). Löffler gelangt über eine dezidierte Schilderung des Austrittverfahrens, wobei er zwischen privatrechtlich und körperschaftlich verfassten Religionsgemeinschaften differenziert, zu der These, dass gerade in bezug auf den Kirchenaustritt, der lediglich im staatlichen Recht Wirkung zeigt, nicht von "einem Mitgliedschaftsrecht" (165) im Sinne einer "Realidentität von Partikularkirche und Körperschaft des öffentlichen Rechts" (159) gesprochen werden kann, und schließt sich der Position Pirsons an, die von einer Mitgliedschaft sowohl im kirchlichen als auch im staatlichen Bereich ausgeht (165). Um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass ein Kirchenaustritt nach katholischem Verständnis nicht möglich ist, plädiert Löffler für den von H. Zapp eingebrachten Begriff des "Körperschaftsaustritts" (165), dessen Rechtsfolgen er im letzten, dem umfangreichsten Kapitel untersucht. Hierbei weist er zunächst in anschaulicher Auseinandersetzung mit der unterschiedlichen Handhabung des Körperschaftsaustritts durch die Bistümer sowie den bestehenden partikularrechtlichen Normen die rechtliche Unstimmigkeit auf, die in der kirchlichen Gesetzgebung und Verwaltung hinsichtlich der Bewertung des Körperschaftsaustritts besteht (205). Im Zuge der rechtlichen Würdigung des Körperschaftsaustritts stellt Löffler sehr übersichtlich die sowohl vor als auch nach der Codexreform kontrovers diskutierten Ansichten dar und bezeichnet die derzeit vorherrschende Situation als "dubium iuris", den es dringend zu klären gelte (219). Dem schließt sich ein Versuch an, den Körperschaftsaustritt im Hinblick auf die Vorgaben des CIC genauer zu qualifizieren und eventuell Rechtsfolgen daraus herzuleiten. Dies ist nicht nur deshalb schwierig, weil sich beispielsweise can. 209 § 1 CIC als "programmatische Aussage (...) allein nicht für eine rechtliche Einordnung des Körperschaftsaustritts" eignet (222) und der Codex keine Definition dafür bietet, was unter dem "actus formalis defectionis", wie er in den drei eherechtlichen Canones (cann. 1086 § 1, 1117 und 1124 CIC) vorkommt, zu verstehen ist, sondern obendrein die Defektionsklausel insgesamt kirchenrechtlich höchst kontrovers diskutiert wird. Aus der fehlenden Identität zwischen "actus formalis defectionis" und Körperschaftsaustritt definiert Löffler letzteren als "actus inter alios factum" (257) und schließt daran die Betrachtung weiterer innerkirchlicher Rechtsfolgen für den Austretenden an. Beginnend mit den in Diskussion stehenden Delikten des kodikarischen Strafrechts - Apostasie, Häresie und Schisma, can. 751 i. V. m. can. 1364 § 1 -, die Löffler jeweils überzeugend ablehnt, weist er zudem auf das Erfordernis des Vorsatzes hin, diskutiert die "imputabilitas" sowie Kundgabe und Zurechenbarkeit der Austrittserklärung, um letztlich zu resümieren, dass "der Austritt aus der katholischen Kirche als Körperschaft des öffentlichen Rechts mit bürgerlicher Wirkung (...) nicht durch ein eigenes kanonisches Strafgesetz erfasst" sei (289). Auch die in der Literatur vertretenen Ansichten, den Körperschaftsaustritt als "peccatum grave" i. S. v. can. 916 CIC bzw. den Austretenden als "peccator manifestus" gemäß cann. 915 2. HS, 1007 CIC zu deklarieren, lehnt Löffler mit dem Hinweis auf eine unabdingbare "Einzelfallprüfung" (311) ab. Abschließend diskutiert er den Körperschaftsaustritt unter dem Gesichtspunkt des can. 222 § 1, also als Verstoß gegen die Pflicht zur finanziellen Unterstützung der Kirche (312ff.), listet die Möglichkeiten einer kirchlichen Bestrafung auf (329ff.) und geht auf mögliche disziplinarische Reaktionsmöglichkeiten auf den Körperschaftsaustritt (335ff.) ein. Aus aktuellem Anlass erwähnt Löffler am Ende seiner Studie die Erklärung der DBK vom 24. April 2006, um diese nach knapper formaler und inhaltlicher Einordnung überraschend schnell als "rechtswidrig" (358) zu qualifizieren. Wünschenswert wäre an dieser Stelle eine Darlegung verschiedener Lösungsmöglichkeiten gewesen.

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Die Themenstellung der Dissertation bewegt sich in einem Grenzbereich zwischen kirchenrechtlich-juristischen und teilweise höchst komplexen theologisch-systematischen Fragestellungen, denen in pastoraler Hinsicht erhebliches Gewicht zukommt. Der Verfasser zeigt im Umgang mit diesen Fragen nicht nur ein hohes Maß an Sensibilität, sondern betrachtet und bewertet die fragwürdigen Sachverhalte im denkbar weitesten Horizont, so dass diese, wie eingangs angekündigt, "in einem deutlich anderen Licht erscheinen" (18). Nur ein solches Vorgehen ist in einem Bereich, in dem Entscheidungen des Gesetzgebers weitreichende Konsequenzen haben, zielführend, wobei die grundsätzliche Frage bleibt, inwieweit theologische Fragen dieser Tragweite überhaupt kodifizierbar sind.

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Elisabeth Rothe