Zur normativen Wirkung der Kirchengesetze im Arbeitsrecht
Von Robert Gmeiner
Inhalt |
I. Herkömmliche Ansicht und Germanns Ansatz |
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Nach der herkömmlichen Ansicht bedarf eine kirchenrechtliche Regelung zur Wirksamkeit im Arbeitsverhältnis zwischen den Vertragsparteien einer individualvertraglichen Vereinbarung.1 Die Kirchen können aufgrund ihres Selbstverwaltungs- und ordnungsrechts aus Art. 140 GG iVm Art. 137 III 1 WRV neben dem Inhalt auch die Form der Arbeitsverhältnisse selbstständig bestimmen.2Bedient sich die Kirche dem Privatrecht zur Gestaltung ihrer Arbeitsverhältnisse, so darf sie dieses Arbeitsverhältnis nur mit den Mitteln des Privatrechts gestalten, was in der Regel mittels Vertrag erfolgt. Ein Kirchengesetz ist kein Mittel des Privatrechts und sei damit auch kein taugliches Mittel zur Gestaltung privatrechtlicher Arbeitsverhältnisse. 3 Ob das BAG allerdings an dieser Auffassung weiterhin festhalten will, hat es einst ausdrücklich offengelassen. 4 |
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Germann tritt dieser Ansicht am Rande eines Festschriftbeitrags entgegen und verweist auf die mittelbare Grundrechtswirkung. Die Grundrechte finden nach wohl einhelliger Auffassung über § 242 BGB auch ohne individualvertragliche Vereinbarung im Arbeitsrecht Anwendung. So wie die Grundrechte vermittelt über die Grundrechtsbindung des Zivilrichters mittelbar auf das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien einwirke, so wirkten kirchliche Rechtsnormen vermittelt über das kirchliche Selbstbestimmungsrecht in das Arbeitsverhältnis ein.5 |
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II. Normative Wirkung arbeitsrechtlicher Kirchengesetze |
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Sowohl die herkömmlich Ansicht als auch Germanns Ansatz setzen voraus, dass die Kirchengesetze nicht unmittelbar in das Arbeitsverhältnis hineinwirken. Dass dies aber doch so ist, soll nachfolgend gezeigt werden. |
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1. Rechtsgeltung |
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Nach der juristischen Geltungstheorie erhebt eine Rechtsnorm den Anspruch auf Verbindlichkeit und Befolgung sobald sie existent ist. Das Recht gilt, weil es existiert. Mit der Geltung des Rechts ist zugleich auch die Pflicht zu deren Anwendung und Durchsetzung verbunden. Grund hierfür ist allein die Tatsache, dass aufgrund der Rechtssetzung durch das zuständige Organ in einem ordnungsgemäßen Verfahren6 ein formeller Legitimationsgrund vorliegt. 7 Eine weitergehende besondere Anerkennung durch die Vertragsparteien ist nicht erforderlich. Damit gilt das Recht absolut8 und ausnahmslos9: Entweder gilt das Recht oder es gilt nicht. Gilt es, dann beansprucht eine generelle Gültigkeit und bindet die Unterworfenen ausnahmslos. |
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Gegen diesen juristischen Geltungsbegriff wird eingewandt, dass dieser zirkulär sei, denn er setze bereits die Existenz des Rechts voraus. Anders könne sich nicht bestimmen, ob das zuständige Organ in einem ordnungsgemäßen Verfahren das Recht gesetzt hat. 10 Für das staatliche Recht mag diese Kritik zutreffen. Sie kann aber nicht auf das Kirchenrecht übertragen werden. Die hierarchischen Leitungsstrukturen mit den Rechtssetzungsbefugnissen des Papstes (c. 331 CIC) stellen nach dem kirchlichen Verständnis göttliches Recht dar. 11 Damit handelt es sich um Recht, welches sich aus der christlichen Offenbarung ergibt und auf einen göttlichen Willen zurückzuführen ist. 12 Inhaltlich ist es damit der Disposition des Menschen entzogen ist. 13 Die Befugnis die bischöfliche Rechtsetzungsgewalt in c. 381 § 1 CIC (bzw. c. 455 § 1 CIC für die Bischofskonferenz) anzuerkennen beruht formal auf der Rechtsetzungsbefugnis des Papstes (c. 331 CIC). Letztere ist Teil des göttlichen Rechts und kann daher nur mittels der Rechtstheologie, nicht aber mit der Rechtstheorie gerechtfertigt werden. Ist der letzte Punkt, der zu rechtfertigen ist, der Rechtfertigung durch die Rechtstheorie entzogen, so steht er damit außerhalb des Systems. Damit kann der Rechtfertigungsversuch nicht zirkulär sein. |
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Zwar legitimiert sich das Kirchenrecht aus dem Glauben. Dennoch weist es alle Merkmale des rechtstheoretischen Rechtsbegriffs auf, 14 sodass es - ungeachtet seiner theologischen Begründung und Zulässigkeit - seinem Wesen nach um Recht handelt. 15 Auf das Kirchenrecht ist daher die allgemeine Rechtstheorie anwendbar, mit der Folge, dass der juristische Geltungsbegriff anzuwenden ist. 16 Demnach gelten Kirchengesetze, weil sie existieren. Dies hatte auch der mittlerweile heiliggesprochene Papst Johannes Paul II. in der Apostolischen Konstitution "Sacrae Disciplinae Leges" zur Promulgation des CIC im Jahre 1983 angenommen, wenn er schreibt: "Demum canonicae leges suapte natura observantiam exigunt [...]"17. |
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2. Kirchenrecht im weltlichen Bereich |
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In einem säkularen Staat wie der Bundesrepublik bedeutet die Trennung von Staat und Kirche lediglich eine Kompetenzabgrenzung. Dem Staat sind die religiösen Angelegenheiten entzogen, weil sie "außerhalb seines Befugniskreises" 18 liegen. Nach den Worten von Böckenförde wird "die Religion vom Staat freigegeben, in Freiheit gesetzt". 19 Der weltanschaulich und religiös neutrale Staat "[k]ann und darf [...] den Inhalt dieser Freiheit nicht näher bestimmen, weil er den Glauben oder Unglauben seiner Bürger nicht bewerten darf" 20. |
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Die Religion ist aber keineswegs aus der Gesellschaft verbannt. Unstreitig gehört zum Selbstordnungsrecht der Religionsgemeinschaften (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 III 1 WRV) auch das Recht eigenes Recht zu setzen. Diese Rechtsetzungsbefugnis wird allerdings nicht nur vom Staat abgeleitet, sondern steht den Religionsgemeinschaften zum Teil originär zu. 21 |
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Der Staat ist daher angehalten einen Rahmen zu schaffen, welche die Erfüllbarkeit des religiösen Rechts gewährleistet. 22 Die Erfüllbarkeit darf allerdings nicht mit Durchsetzbarkeit verwechselt werden. 23 Erfüllbar ist das religiöse Recht aber nur, wenn - vorausgesetzt die theologische Grundlegung der Religionsgemeinschaft lässt dies zu - das Kirchenrecht auch als Recht anerkannt wird. Dies setzt aber weiter voraus, dass der Staat anerkennt, dass religiöse Gesetze rechtstheoretisch genauso wirken, wie staatliche Gesetze: nämlich von selbst und zwar allein aufgrund ihrer Existenz und ohne Ausnahme. |
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Würde man, wie Germann, die arbeitsrechtlichen Kirchengesetze nur mittelbar über die kirchliche Selbstverwaltung zur Anwendung kommen lassen, so würde dies heißen, dass die Kirchengesetze nur indirekt wirken würden. Sie - und damit die daraus ergebenden Rechtspflichten und Ansprüche - würden nicht mehr aufgrund ihrer tatsächlichen, formalen Existenz gelten, sondern allein aufgrund der "Gnade des Staates". Die Rechtsqualität der Normen würde auf diese Weise negiert. |
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Ginge man mit der h. M. und würde eine individualvertragliche Vereinbarung für die Geltung der Kirchengesetze verlangen, dann würde das Recht nicht ausnahmslos gelten, sondern nur dort, wo es auch vereinbart wurde. Andernfalls wäre die Vereinbarung schließlich überflüssig. Auch diese Ansicht würde dem Rechtsbegriff nicht gerecht werden. |
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Das kirchliche Selbstordnungsrecht hat aber eine weitere Funktion, die zu beachten ist. Aus dem Selbstordnungsrecht der Religionsgemeinschaften folgt für den Richter eines weltanschaulich und religiös neutralen Staates, dass er das theologisch fundierte Recht24 der Religionsgemeinschaften nicht anwenden darf. Andernfalls würde der Staat gegenüber den Religionsgemeinschaften vorgeben, wie das religiöse Recht und damit letztendlich der Glaube richtig zu verstehen ist. 25 Dies ist aber gerade nicht Aufgabe des Staates. Art. 140 GG iVm Art. 137 III 1 WRV eröffnet nun die Möglichkeit und die Pflicht, kirchliche Besonderheiten im Rahmen des staatlichen Gerichtsverfahren zu beachten. Selbst wenn er das religiöse Recht nicht unmittelbar anwenden und auslegen darf, so hat er es dennoch im Rahmen der Interessensabwägung zu berücksichtigen. 26 Bei Kirchengesetzen handelt sich schließlich um Rechtsnormen nach Art. 2 EGBGB. 27 So kann das Arbeitsgericht zwar nicht bestimmen ob ein bestimmtes Verhalten eine Loyalitätsverletzung darstellt. Es hat allerdings im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen, dass das Kirchenrecht hier von einer Loyalitätsverletzung ausgeht. |
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Folglich sagt das kirchliche Selbstordnungsrecht nichts über die normative Geltung der Kirchengesetze aus. Es verpflichtet lediglich den staatlichen Richter zur Beachtung des Kirchenrechts. |
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III. Fazit |
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Recht gilt, weil es existiert - und zwar
absolut und ausnahmslos. Nichts anderes gilt auch für Kirchengesetze. Erkennt
das deutsche Verfassungsrecht durch Art. 140 GG iVm Art. 137 III 1 WRV eine
originäre Rechtssetzungsbefugnis der Religionsgemeinschaften an, dann muss das
Kirchenrecht unmittelbar auf das Arbeitsverhältnis einwirken können. Andernfalls
wäre es kein Recht. |
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