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"Das Stundengebet der Kirche ist wie ein goldenes Netz, das
sich über die einzelnen Tage, Wochen und Jahre breitet. Über alle Zeiten und
Zeitabschnitte streut es himmlischen Glanz und faßt sie in ein vielgestaltiges,
sinnvolles Ganzes zusammen." 1
Was der Schweizer Kapuziner Peter Morant mit diesen schönen Worten
beschreibt, ist Liturgie. Die Art seiner Beschreibung läßt die Liturgie als
Kunstwerk erscheinen. Dem kann man sicher zustimmen. Zu allen Zeiten hat die
Liturgie die Künste angeregt; sie selbst erscheint oft in künstlerischem
Gewand. Vor diesem Hintergrund wirkt die Rede von einem Recht der Liturgie
zunächst befremdlich. Unwillkürlich denkt man an starre Rubrizistik, an
Zelebrationsnormen, die bis in kleinste Körperhaltungen hinein den Ritus
liturgischer Feiern bestimmen. 2
Man denkt an die moralischen und kanonischen Sanktionen, die vor allem in der
Zeit vor der Liturgiereform durch Nichteinhaltung der Rubriken verwirkt wurden. 3
Sicher, es gibt auch ein Recht der Kunst. Urheberrechte und Verlagsverträge
sind jedem ein Begriff. Doch schreiben diese Rechte nicht vor, wie Kunst zu sein
hat; darin unterscheiden sie sich deutlich von einer rechtlich normierten
Rubrizistik. In dem Verfassungsstaat, in dem wir heute leben, ist die Freiheit
der Kunst in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz (GG) als eine Form der
Persönlichkeitsentfaltung ausdrücklich geschützt. Diese Freiheit geht so
weit, daß Rechtslehre und Rechtsprechung sogar auf einen verbindlichen
Kunstbegriff verzichtet haben, denn Kunst auf den Begriff zu bringen, schränkt
das Selbstverständnis des Künstlers und damit seine künstlerische Entfaltung
ein. 4
Die Rechtskultur, in der wir leben, prägt - bewußt oder unbewußt - auch
unsere Einstellung zu rechtlichen Regelungen in der Liturgie. Vor dem
freiheitlichen Hintergrund unserer auf Persönlichkeitsentfaltung zielenden
Kunstfreiheit hat es das liturgische Recht schwer, Gehör zu finden.
Normativität will uns heute so gar nicht zu den liturgischen Äußerungen
unserer Spiritualität passen. 5
Fast gewinnt man den Einruck, je spontaner Liturgie ist, als desto authentischer
wird sie angesehen. Recht der Liturgie ist aber nicht bloß Rubrizistik. Es
erfüllt für das Leben der Kirche eine wichtige Funktion und hat darüber
hinaus auch einen theologischen Sinn. Das soll am Beispiel der Stundenliturgie
deutlich und nachfolgend in zwei Gedankengängen entfaltet werden. Ausgehend von
der eingangs beschriebenen Irritation, die das ius liturgicum oftmals
auslöst, wird zunächst eine allgemeine Verhältnisbestimmung von Recht und
Liturgie versucht. Aus dem Recht der Stundenliturgie findet anschließend ein
Fragenkreis besondere Beachtung, nämlich die Stundenliturgie als Rechtspflicht
für Kleriker.
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Um das problematische Verhältnis von Recht und Liturgie
näher beschreiben zu können, ist es hilfreich, kurz begrifflich zu bestimmen,
was unter Recht und Liturgie eigentlich zu verstehen ist.
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Liturgie ist nicht einfach Gebet oder Gottesdienst. Für den
Bereich des Kirchenrechts, um den es hier geht, ist Liturgie nur der
öffentliche Gottesdienst der Kirche, so formuliert c. 837 § 1: "Die
liturgischen Handlungen sind nicht private Handlungen, sondern Feiern der Kirche
selbst... ." 6
Zur Liturgie zählen vor allen Dingen die Sakramentenspendung im Rahmen
gottesdienstlicher Feiern und als wichtigste Form des nichtsakramentalen
Gottesdienstes die Stundenliturgie. Für das Kirchenrecht ist hinsichtlich der
Liturgie noch von Bedeutung, daß sie ein von der zuständigen kirchlichen
Autorität geregelter Gottesdienst ist, vgl. c. 838 § 1. Der hier verwendete
Liturgiebegriff ist somit maßgeblich durch formale Elemente bestimmt. In der
Liturgiewissenschaft hingegen versucht man das, was Liturgie ausmacht, auch
inhaltlich aus einer theologischen Perspektive heraus zu füllen. Ein Beispiel
mag das verdeutlichen: Eine "liturgische Nacht", die von einem
Liturgiekreis gestaltet und öffentlich zugänglich in der Pfarrkirche gefeiert
wird, ist wegen der fehlenden Regelung durch die kirchliche Autorität keine
Liturgie im kanonischen Sinn, sondern bloß ein pium et sacrum exercitium
gemäß c. 839 § 2 . Gleichwohl kann die "liturgische Nacht" aber in
materieller Hinsicht Liturgie sein, wenn sie die von der Liturgiewissenschaft
ermittelten Strukturprinzipien gottesdienstlichen Feierns beachtet. 7
Das im soeben geschilderten Beispielsfall für das Kirchenrecht ausschlaggebende
Merkmal der hierarchischen Regelung blendet über zum Begriff des Rechts.
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Was man genau unter "Recht" zu verstehen hat, ist eine
in Rechtstheorie und Rechtsphilosophie sehr kontrovers diskutierte und
schwierige Frage. 8
Gleichwohl lassen sich einige grundlegende Aussagen machen: Als Recht kann man
verbindliche Sollenssätze für sozialerhebliches Verhalten bezeichnen, die mit
Autorität formuliert wurden. 9
Damit wird das Recht von der Moral abgegrenzt, die auch nicht-sozialerhebliche
Verhaltensweisen zum Gegenstand hat. Das Recht wendet sich also, anders als die
Moral, grundsätzlich an das äußere Verhalten des Menschen. Weiterhin wird
auch der Bereich der naturgesetzlichen Notwendigkeiten ausgeklammert. Recht
setzt mit seinem Sollen immer die Möglichkeit des Normadressaten voraus, sich
anders als im Rechtssatz beschrieben, verhalten zu können. Damit spricht das
Recht die menschliche Freiheit an.
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Vor dem Hintergrund dieser Begriffsbestimmungen lassen sich
nun genauere Aussagen über den Regelungsbereich des liturgischen Rechts machen.
Liturgisches Recht befaßt sich, das folgt aus dem Regelungsgegenstand Liturgie,
mit dem von der kirchlichen Autorität normierten öffentlichen Gottesdienst.
Dabei hat es als Recht das äußere Verhalten der an der Feier teilnehmenden
Personen im Blick. In diesem Sinne bestimmt es die Funktionsträger liturgischer
Dienste und die zu verwendenden liturgischen Texte. Juristisch gesprochen geht
es um Zuständigkeiten und Verfahren im Bereich des Gottesdienstes. Da das
liturgische Recht nur das äußere Verhalten der am Gottesdienst beteiligten
Personen regelt, erstreckt es sich nicht auf alle Aspekte der Liturgie. Der
wichtige, ja letztlich entscheidende Bereich der inneren Einstellung, der
Frömmigkeit, der betenden Hingabe und Betrachtung bleibt einer rechtlichen
Regelung verschlossen. Diese Fragen wurden früher vor allem in der
Moraltheologie und der Aszetik behandelt; sie sind heute aber mehr und mehr
Gegenstand einer Theologie der Spiritualität. Will man das liturgische Recht
noch genauer unterteilen, so ist die Regelung der Texte und der äußeren
Feiergestalt Sache der liturgischen Bücher. Nach c. 2 sind die Riten, obgleich
Recht10,
grundsätzlich nicht Gegenstand des CIC und damit nicht im Hauptinteresse des
kanonischen Rechts. Der Riten nimmt sich vielmehr die Rubrizistik an, die heute
allerdings im Vergleich zu früheren Zeiten keine eigene Disziplin mehr bildet,
sondern Teil einer sich weniger disziplinär, sondern mehr theologisch
verstehenden Liturgiewissenschaft ist. 11
Man kann die Rubrizistik mit ihren Zeremonialnormen auch als liturgisches
Verfahrensrecht bezeichnen. Der Kernbereich des im CIC geregelten liturgischen
Rechts hat demgegenüber mehr die Kompetenzen im Bereich der Liturgie im Blick. 12
Es regelt im vierten Buch De munere sanctificandi, wer liturgische
Bücher erlassen darf, wer liturgischen Feiern vorsteht und welche Personen zur
Abhaltung liturgischer Feiern verpflichtet sind. Schließlich finden sich noch
grundlegende Regelungen über Art, Raum und Zeit liturgischen Feierns und,
soweit liturgische Feiern auch eine Sakramentenspendung beinhalten, die
sakramentenrechtlichen Voraussetzungen für eine gültige und erlaubte Spendung.
Aber der Bereich des Sakramentenrechts gehört nicht mehr zum liturgischen Recht
im eigentlichen Sinn. Auch wenn die Sakramentenspendung sich vielfach in einer
liturgischen Feier ereignet, so betrifft das kodikarische Sakramentenrecht
weniger die liturgische, sondern mehr die dogmatische Dimension der Sakramente.
Das kommt in den zentralen sakramentenrechtlichen Kategorien von Gültigkeit und
Erlaubtheit zum Ausdruck. Das Sakramentenrecht will die gültige
Sakramentenspendung sichern, mehr nicht. Nur insoweit enthält es auch
Regelungen, die die liturgische Feier als solche betreffen.
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Der Grund für die soeben beschriebene rechtliche Regelung
von Liturgie ist vor allem die Kirchlichkeit des liturgischen Betens. Liturgie
ist, das wurde schon festgestellt, nicht einfach Gebet oder Gottesdienst,
sondern öffentlicher Gottesdienst, der im Namen und im Zusammenhang mit der
Kirche gefeiert wird. Hier sei noch einmal auf den schon zitierten grundlegenden
c. 837 § 1 verwiesen. Soll aber ein bestimmtes liturgisches Handeln Ausdruck
von Kirchlichkeit sein, so stellt sich sofort die Frage der Zurechenbarkeit
dieses Handelns zur Gemeinschaft der Kirche. Liturgisches Recht will diese
Zurechenbarkeit sichern und damit die Identität der Kirche als
Gottesdienstgemeinschaft garantieren. 13
Besonders deutlich wird dies im Zusammenhang mit der Sakramentenspendung. Im
einleitenden Abschnitt zum Sakramentenrecht bestimmt c. 846 § 1: "Bei der
Feier der Sakramente sind die von der zuständigen Autorität genehmigten
liturgischen Bücher getreu zu beachten; deshalb darf niemand dabei
eigenmächtig etwas hinzufügen, weglassen oder ändern." Diese Vorschrift
macht deutlich, daß die gem. c. 2 nicht im Codex geregelten Riten gleichwohl
verbindliche Regelungen und damit liturgisches Recht sind. 14
Durch die Normierung der liturgischen Feier wird erreicht, daß jeder, der an
ihr teilnimmt, sicher sein kann, bei einer Feier der Kirche und nicht bei einer
Privatveranstaltung der gerade Anwesenden zugegen zu sein. In diesem Sinne
bedeutet das etwa für die Sakramentenspendung, daß die rechtlichen Vorgaben
ihrer Feiergestalt den Zusammenhang mit der Kirche als Gemeinschaft sichern und
gerade so verhindern, daß die Sakramentenspendung zu einem individualistischen
Geschehen herabsinkt. Vor dem Hintergrund der im Zuge der nachkonziliaren
Entwicklung wiederentdeckten Gottesdienstlichkeit der Sakramentenspendung und
der Gemeinschaftsbezogenheit ihrer Feier erfüllt das liturgische Recht so einen
wichtigen Dienst. Freilich darf nicht übersehen werden, daß durch die
rechtlichen Vorgaben auch Spannungen entstehen. In dem Maße, in dem mit
rechtlichen Vorgaben eine Anbindung an die kirchliche Gemeinschaft erreicht
wird, kann auch eine Nichtberücksichtigung individueller Vorstellungen der
konkreten Feiergemeinde einhergehen. 15
Allerdings ist durch den rahmengesetzlichen Charakter heutiger liturgischer
Vorschriften auch Raum für eine Anpassung an die konkreten Verhältnisse der
Feiergemeinde gegeben. 16
Diese flexiblen Regelungen sollen einen vollpersonalen Mitvollzug ermöglichen
und damit die Spannung zwischen Individualität und vorgegebener
Gottesdienstnorm ausgleichen. Dazu werden im geltenden liturgischen Recht nicht
bloß rubrikarische Vorschriften angeführt, sondern auch sinnerhellende
theologische Einleitungen gegeben. 17
Als Beispiele hierfür mögen die ausführlichen Einführungen zum Stundenbuch
(AES) oder zum Meßbuch (AEM) dienen. Insgesamt gilt für das heutige
liturgische Recht, daß ein bloßer Vollzug rite et recte lediglich das
geforderte Mindestniveau liturgischen Feierns ist. Entscheidend ist die
personale Verlebendigung der liturgischen Vorschriften in den Kontext einer
konkreten Feiergemeinde oder Feiersituation. Werden dann sowohl die
Kirchlichkeit des liturgischen Betens durch die Einhaltung der wesentlichen
liturgischen Normen18
als auch die situationsgerechte Konkretisierung dieser Normen gewahrt, so ist
die dadurch ermöglichte Gnadenwirkung des liturgischen Handelns, die früher
den Hauptzweck des liturgischen Rechts ausmachte, gewissermaßen als Reflex der
liturgischen Norm gewährleistet. Insoweit liegt auch das heutige liturgische
Recht in der Traditionslinie früherer Zeiten. Nur sieht es mehr die an der
Liturgie beteiligten Personen als nur den richtigen Kult und die durch ihn
vermittelte heiligmachende Gnade.
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Die hier aufgezeigten Grundlinien heutigen liturgischen
Rechts sollen anhand einer zentralen Frage aus dem Recht der Stundenliturgie
verdeutlicht werden. Gerade die Rechtspflicht zur Stundenliturgie ist
herkömmlich von einem stark legalistischen Denken belastet19
und eignet sich gut, den Wandel in der Funktion des liturgischen Rechts
aufzuzeigen.
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Traditionell breiten Raum nimmt in der
kanonistisch-moraltheologischen Literatur die Frage nach dem konkreten Umfang
der Verpflichtung zum Stundengebet ein. 20
Der Grundsatz, daß jeder Kleriker und jeder Angehörige eines klösterlichen
Verbandes kraft kirchlichen Rechts oder Gelübdes zum gesamten Stundengebet
verpflichtet ist, wird hierbei unproblematisch vorausgesetzt. Ausführlich
diskutiert und kasuistisch ausgefaltet werden hingegen die Ausnahmen von dieser
Verpflichtung. Die rechtliche Frage nach der Verpflichtung zum Stundengebet war
damit die Frage nach dem erlaubten Auslassen einzelner Horen.
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Das war nicht nur aus Gewissensgründen von Interesse, da das
Stundengebet eine übernommene geistliche Verpflichtung darstellte, sondern auch
aus wirtschaftlichen Gründen wichtig. Das Offizium war, jedenfalls für den
Säkularkleriker, in besonderem Maße eine zu erbringende Gegenleistung für ein
beneficium, aus dem er seine Einkünfte bezog. 22
Ein nicht vollständig gebetetes Offizium stellte vor diesem Hintergrund eine
Äquivalenzstörung zwischen (geldlicher) Leistung und (geistlicher)
Gegenleistung dar, die nach Ausgleich verlangte. War der Kleriker nicht
berechtigt, das Offizium zu kürzen oder auszulassen, so ging er eines Teiles
seiner Benefizialeinkünfte verlustig. 23
Diesen ökonomischen Hintergrund muß man sehen, um die kasuistische Literatur
richtig würdigen zu können. Nach dem Wegfall des Benefizialwesens im Zuge der
nachkonziliaren Reformen ist der lebenspraktische Hintergrund dieser
Erörterungen zum großen Teil weggebrochen. 24
Geblieben ist allein die Frage nach der Verantwortung des Gewissens gegenüber
einer übernommenen Verpflichtung. 25
Diese Verpflichtung wurzelt heute nicht in einem beneficium, sondern
entsteht bei den Säkularklerikern mit der Diakonenweihe, bei den Angehörigen
von Ordensverbänden durch die Ablegung der Profeß. Der Umfang der
Verpflichtung ergibt sich aus dem CIC und den liturgischen Rechtsvorschriften,
auf die der Codex verweist. Bei den Ordensleuten sind Regel und Konstitutionen
maßgeblich.
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Damit sind zwei Gruppen von zur Stundenliturgie
verpflichteten Personen ausgemacht, die Kleriker und die Ordensleute dem
Eigenrecht ihres Ordens entsprechend. In diesem Sinne normiert c. 1174 § 1: "Die
Kleriker sind nach Maßgabe von c. 276 § 2 n. 3 verpflichtet, das Stundengebet
zu verrichten, die Mitglieder aber der Institute des geweihten Lebens und der
Gesellschaften des apostolischen Lebens nach Maßgabe ihrer
Konstitutionen." Der für die Kleriker grundlegende c. 276 § 2 n. 3, auf
den c. 1174 § 1 verweist, lautet: " Damit sie diese Vollkommenheit erreichen
können ... sind alle Priester wie auch die Diakone, die Anwärter auf den
Presbyterat sind, zum täglichen Stundengebet verpflichtet; die ständigen
Diakone haben es in dem von der Bischofskonferenz bestimmten Umfang zu
verrichten." 26
Auf diesen Canon nimmt auch c. 663 § 3 für die Ordensleute Bezug. Dabei kommt
dem Eigenrecht des Ordensverbandes grundsätzlich nur für die Mitglieder, die
keine Kleriker sind, besondere Bedeutung zu. 27
Im einzelnen lautet die Norm: "Sie [die Ordensleute, Anm. E.S.] sollen sich
der Lesung der Heiligen Schrift und dem betrachtenden Gebet widmen, sollen
unbeschadet der für Kleriker geltenden Verpflichtung des c. 276 § 2 n. 3
gemäß den Bestimmungen des Eigenrechts das Stundengebet würdig feiern und
andere Übungen der Frömmigkeit verrichten." Kleriker und Ordenleute sind
also die Adressaten einer Verpflichtung zum Stundengebet. Da die Stundenliturgie
aber keine reine Klerikerliturgie, kein Standesgebet sein soll28,
betont c. 1174 § 2 ausdrücklich: "Zur Teilnahme am Stundengebet als einem
Handeln der Kirche werden auch die übrigen Gläubigen je nach den Umständen
nachdrücklich eingeladen." Mit der Einordnung der Stundenliturgie als "Handeln
der Kirche" weist c. 1174 § 2 auf die theologisch geprägte Grundnorm des
Rechts der Stundenliturgie hin, nämlich auf c. 1173: "In Erfüllung des
priesterlichen Dienstes Christi feiert die Kirche das Stundengebet ... ."
Jeder kann also die Stundenliturgie verrichten. Das Kirchenrecht unterscheidet
dabei lediglich zwischen verpflichteten (Kleriker, Ordensleute) und eingeladenen
(die übrigen Gläubigen) Betern. Der Kreis der Beter der Stundenliturgie ist
rechtlich also unproblematisch.
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Demgegenüber war der Umfang der Verpflichtung in der Zeit
nach der Liturgie- und Codexreform Gegenstand kontroverser Diskussionen. 29
Waren die alten Probleme der Dispensgründe weitgehend obsolet geworden, so
stand jetzt die Verpflichtung zum vollständigen Stundengebet selbst im
Mittelpunkt. In gewisser Weise verwundert diese Fragestellung. War das
Breviergebet am Vorabend des Konzils durch seinen Umfang und die alleinige
Vollzugsmöglichkeit in lateinischer Sprache vom Klerus als vielfach drückende
Last empfunden worden, so war das neue Brevier durch erhebliche Kürzungen und
die Einführung volkssprachlicher Ausgaben dem Beter sehr entgegengekommen. 30
Eigentlich hätte die vor dem Konzil vielfach konstatierte "Brevierkrise"
jetzt behoben sein müssen und der Klerus ohne große Mühe seiner Gebetspflicht
nachkommen können. So war es aber nicht. Trotz der erheblichen Kürzungen im
Brevierpensum stellte die Tatsache, auf das ganze Offizium verpflichtet zu sein,
ein Problem dar. Ausgehend von den Normen des CIC und den einschlägigen
Vorschriften des geltenden liturgischen Rechts soll nachfolgend versucht werden,
die Streitfrage nach dem Umfang der Verpflichtung zum Stundengebet zu lösen. 31
Dabei wird allein die Rechtslage für Kleriker betrachtet. Das Eigenrecht der
klösterlichen Verbände bleibt unberücksichtigt. Soweit die Ordensleute
Kleriker sind, so gelten für sie nach c. 663 § 3 ohnehin die Regelungen des c.
276 § 2 n. 3.
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Ausgangspunkt für die Frage, ob nach den nachkonziliaren
Reformen noch das ganze tägliche Offizium für die Kleriker verbindlich zu
beten ist, war c. 135 des CIC von 1917. 32
Dort wird bestimmt, daß Kleriker, welche die höheren Weihen empfangen haben,
verpflichtet sind, das Brevier täglich vollständig zu beten ("Clerici ...
tenentur obligatione quotidie horas canonicas integre recitandi... .").
Dieser Grundsatz hatte zur Folge, daß die Auslassung auch nur einer Hore als
schwere Sünde gewertet wurde, da dadurch die vollständige Verrichtung des
Offiziums gestört war. 33.Nach
der Regelung des CIC von 1917 war also kein Zweifel darüber möglich, daß das
Offizium täglich vollständig zu beten war. Vergleicht man die Regelung mit der
erneuerten Norm in c. 276 § 2 n. 3, so findet sich ein bedeutender Unterschied.
Von einer vollständigen Rezitation des Breviers ist nicht mehr ausdrücklich
die Rede. Stattdessen heißt es bloß, daß die Kleriker zu einem täglichen
Stundengebet verpflichtet sind ("Obligatione tenentur ... cotidie liturgiam
horarum persolvendi ... ."). Reicht also auch das Beten bloß einer Hore am
Tag aus, um von einem täglichen Stundengebet sprechen zu können? Auf den
ersten Blick scheint es so. Doch gilt es, c. 276 § 2 n. 3 genauer zu lesen.
Dort wird Bezug genommen auf das in den liturgischen Büchern niedergelegte
liturgische Recht. Dieses liturgische Recht ist schon über c. 2 als geltendes
Recht neben den Regelungen des CIC stets mitzubeachten. 34
Und so normiert c. 276 § 2 n. 3 noch einmal ausdrücklich, daß das
Stundengebet gemäß den eigenen und genehmigten liturgischen Büchern zu
vollziehen ist. Damit wird auf die "Liturgia Horarum" als das offizielle
liturgische Stundenbuch des römischen Ritus verwiesen. Für den deutschen
Sprachraum gilt zudem das "Stundenbuch" für die volkssprachliche
Stundenliturgie. In diesen liturgischen Büchern ist neben den Rubriken vor
allem die "Institutio Generalis Liturgiae Horarum" (IGLH) bzw. die "Einführung
in das Stundengebet" (AES) von Bedeutung, die in 284 Artikeln Recht,
Theologie und Vollzug des Stundengebets behandelt. 35
Für die hier interessierende Frage des Umfangs der Gebetsverpflichtung ist Art.
29 AES einschlägig. Dort heißt es: "Die Bischöfe, die Priester und die
Diakone, die von der Kirche den Auftrag zum Stundengebet empfangen haben, sollen
es täglich ganz verrichten ...." Der genaue Umfang wird anschließend
festgelegt: Laudes, Vesper, Lesehore, eine mittlere Hore (Terz, Sext oder Non),
Komplet. Damit wird der Grundsatz des ganzen Stundengebets etwas modifiziert, da
ja die kleinen Horen nicht mehr alle verbindlich sind, diese aber gleichwohl zur
vollständigen Stundenliturgie gehören, wie sich aus Art. 76 AES ergibt, der
alle kleinen Horen für das gemeinschaftliche Chorgebet beibehält, freilich
unter Berücksichtigung von Sonderrecht der klösterlichen Verbände. Vor diesem
Hintergrund läßt sich verstehen, warum der CIC angesichts des
Auswahlcharakters der kleinen Horen nicht mehr von einer Verpflichtung zum
Vollzug des gesamten Stundengebetes spricht. Für die fünf verbleibenden
verbindlichen Gebetszeiten (Laudes, Lesehore, mittlere Hore, Vesper und Komplet)
enthalten CIC und AES noch weitere Regelungen. So bestimmt c. 1175: "Bei der
Feier des Stundengebets soll nach Möglichkeit die wirkliche Zeit der einzelnen
Horen eingehalten werden." In gleicher Weise fordert Art. 29 AES, daß bei
der Verrichtung des Stundengebets soweit wie möglich der zeitgerechte Ansatz
der Gebetsstunden zu wahren ist. Damit wird die Verpflichtung zum Stundengebet
in der Weise modifiziert, daß nicht allein die Persolvierung eines
vorgeschriebenen Pensums innerhalb der Tagesfrist ausreicht, sondern das
Stundengebet in besonderer Weise der Heiligung des Tages dienen soll. Der
Grundsatz der Tagesheiligung wird in der AES an mehreren Stellen ausdrücklich
erwähnt und geht zurück auf Art. 88 SC. Durch ein zeitgerechtes Gebet soll
eine bloß mechanische Verrichtung des Breviers vermieden werden. Damit grenzen
die neuen Regelungen des liturgischen Rechts sich von einer in früheren Zeiten
üblichen Praxis ab, die Laudes schon am Vorabend zu beten oder gar das gesamte
Offizium zweier Tage von 23.00 bis 1.00 zu erledigen. 36
Diese Übung half den in der Seelsorge stehenden Geistlichen, angesichts
vielfältiger Aufgaben ihre Brevierpflicht zu erfüllen. Da durch die Reform der
Stundenliturgie das zu betende Pensum erheblich gekürzt wurde37,
konnte nun wieder der zeitgerechte Ansatz der einzelnen Horen gefordert werden.
Damit haben die Horen ihre Funktion der Tagesheiligung wiedererlangt.
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Obwohl die zu betenden Horen in den liturgischen Vorschriften
ausdrücklich benannt sind, hat gerade der Grundsatz des zeitgerechten Ansatzes,
die sogenannte veritas horae, Unsicherheiten über den genauen Umfang der
Pflicht zur Stundenliturgie hervorgerufen. 38
Die Frage ist, ob der Grundsatz von so großer Bedeutung ist, daß nach Ablauf
der horengemäßen Tageszeit die Verpflichtung hinsichtlich dieser Hore als
erloschen zu betrachten ist. Ein entsprechende Ansicht wird vielfach vertreten. 39
Gestützt wird diese Ansicht noch auf Kriterien, die die AES in Art. 29 für das
Auslassen der Horen aufstellt. Als Angelpunkte der Stundenliturgie werden dort
Laudes und Vesper bezeichnet, die nur aus schwerwiegenden Gründen unterlassen
werden sollen. Die Lesehore sei "treu zu vollziehen". Die mittleren Horen
und die Komplet werden "ans Herz gelegt". Damit ergibt sich eine
Abstufung der fünf Horen, wobei Laudes und Vesper als besonders wichtig gelten.
Läßt sich daraus folgern, eine Auslassung vor allem der mittleren Hore und der
Komplet sei grundsätzlich möglich, wenn für sie keine Zeit bleibt? Sind dann
nur noch Laudes und Vesper, vielleicht noch die Lesehore, wirklich notwendiger
Bestandteil des klerikalen Stundengebets? 40
Festgehalten werden kann jedenfalls, daß im Gegensatz zu früheren Zeiten die
Auslassung einer mittleren Hore das zu verrichtende Pensum nicht mehr so
empfindlich stört, daß gesagt werden kann, der Kleriker habe das ihm
aufgegebene opus divinum nicht mehr erfüllt. In diesem Sinne kann die
Änderung von c. 276 § 2 n. 3 gegenüber c. 135 CIC/1917 sicher verstanden
werden. So gesehen ist eine gewisse Erleichterung in der Pflicht zur
Stundenliturgie festzustellen. 41
Weiterhin ist durch die Einführung einer gewissen Abstufung der Horen dem
einzelnen Kleriker ein Maßstab für eine verantwortliche Entscheidung für die
Verrichtung der Stundenliturgie an die Hand gegeben. 42
Da der CIC für das Auslassen einzelner Horen keine Sanktionen vorsieht und die
AES durch das Vorliegen eines schwerwiegenden Grundes das Auslassen sogar von
Laudes und Vesper entschuldigt, bekommt die Verpflichtung zur Stundenliturgie
einen mehr geistlichen und einen weniger dienstrechtlichen Charakter. Zusammen
mit dem Grundsatz der veriats horae gewinnt die klerikale Stundenliturgie
damit eine gottesdienstliche, eine spirituelle Prägung, die im Gegensatz zu
einer bloßen Standespflicht steht. Kann man nun daraus folgern, daß dann, wenn
aus wichtigen Gründen die Einhaltung einer Hore zur festgesetzten Zeit nicht
möglich ist, diese Hore dann nicht mehr verpflichtend ist? Kann man soweit
gehen, in dem Grundsatz der veritas horae selbst einen wichtigen Grund zu
sehen, der es etwa verbietet, die Laudes oder eine mittlere Hore am Abend zu
rezitieren? Genügt demnach ein Priester, der während des ganzen Tages bloß
Gelegenheit zum zeitgerechten Gebet der Komplet findet, mit dem Gebet dieser
einen Hore seiner Verpflichtung aus c. 276 § 2 n. 3 oder müßte er am späten
Abend das gesamte Offizium des Tages gewissermaßen "nachbeten"? Der
Grundsatz der veritas horae scheint vom Normtext her nicht absolut zu
gelten. C. 1175 spricht davon, daß der zeitgerechte Vollzug "nach
Möglichkeit" erfolgen soll. Ähnlich formuliert Art. 29 AES: soweit wie
möglich den zeitgerechten Ansatz der Gebetsstunden wahren. Liest man diese
Regelungen jetzt mit der in c. 276 § 2 n. 3, Art. 29 AES aufgestellten
Verpflichtung zusammen, das Stundengebet täglich ganz zu verrichten, so ergibt
sich, daß die fehlende Möglichkeit eines zeitgerechten Gebets nicht die
Verpflichtung zum ganzen Stundengebet berührt. 43
Vielmehr gilt, daß das ganze Stundengebet nach Möglichkeit zeitgerecht
verrichtet werden soll. Ist eine zeitgerechte Verrichtung nicht möglich, so ist
es, da es täglich ganz zu beten ist, im Laufe eines Tages, also nach c. 202 §
1 grundsätzlich innerhalb von 24 Stunden zu beten, 44
mit der Ausnahme freilich, daß nach Art. 59 AES die Lesehore auch auf den
Vorabend verlegt werden kann. 45
Von daher sind die Kriterien, die Art. 29 AES an das Auslassen von Horen stellt,
nicht so sehr auf das Weglassen der Horen, sondern mehr auf das Auslassen des
zeitgerechten Betens bezogen. 46
Dieses Ergebnis ergibt sich auch aus einer teleologischen, also einer nach Sinn
und Zweck der gesetzlichen Regelung fragenden Interpretation, vgl. c. 17. Nach
c. 1173 ist die Stundenliturgie zunächst das unablässige Gebet der Kirche. Die
Kleriker verrichten es nicht als Privatgebet, sondern als öffentliches Gebet
und damit als Liturgie im Rechtssinn. Von daher benennen die AES in Art. 20 bis
27 und Papst Paul VI. in der das neue Stundenbuch promulgierenden Apostolischen
Konstitution Laudis canticum Abschnitt 7 auch die gemeinschaftliche Feier
des Stundengebets als Vollform dieser Liturgie. Die Kleriker beten das
Stundengebet nicht bloß zur persönlichen Heiligung des Tages, sondern in
Stellvertretung für die Kirche und die ihnen anvertrauten Gläubigen, vgl. Art.
28 AES. Hinzu kommt, daß c. 246 § 2 für die Seminarerziehung der angehenden
Kleriker zum Stundengebet gerade das stellvertretende Beten für andere
besonders betont. 47
Als Reflex dieses stellvertretenden Betens soll nach Art. 28 a.E. AES die
persönliche Frömmigkeit der Kleriker gefördert und ihr Tagwerk geheiligt
werden. Lediglich diesem Reflex und der lebensnahen Authentizität ihres Betens
soll der Grundsatz der veritas horae dienen. Für die Funktion des
stellvertretenden Betens, nach den geltenden Regelungen Hauptgrund der
Brevierpflicht, ist er ohne Bedeutung. 48
Aus dem Grundsatz der Stellvertretung im Gebet wird man sogar folgern können,
daß sich der Kleriker im Geiste mit jenen Gliedern der Kirche vereinen kann, in
deren Region die betreffende Hore zeitgerecht ist. Dieses Beten im Gedenken an
andere, das von eigenen Befindlichkeiten absieht, findet im materiellen Inhalt
der Stundenliturgie noch seine Stütze. Gerade die Psalmen, die Hauptbestandteil
des Stundengebets sind, gehen oft auf ganz verschiedene Stimmungen von der Klage
bis zum Lobgesang ein. Diese Stimmungen müssen nicht immer die jeweilige
Gemütslage des Beters treffen. Art. 108 AES äußert sich zu diesem Problem
ausführlich und betont dabei den Grundsatz stellvertretenden Betens. 49
Somit kann als Ergebnis der bisherigen Überlegungen festgehalten werden, daß
die Kleriker zum täglichen Stundengebet im Umfang von fünf Horen verpflichtet
sind. Dabei sind sie gehalten, einen zeitgerechten Ansatz für das Gebet zu
wählen. Sollte einem Kleriker das nicht möglich sein, so kann er nach
gründlicher und verantwortlicher Gewissensentscheidung nach den Grundsätzen
des Art. 29 AES eine oder mehrere Horen verschieben und erst als ultima ratio
ganz auslassen. 50
Dabei müssen jedenfalls für Laudes und Vesper besonders schwerwiegende Gründe
vorliegen. Vergleicht man diese Regelung mit der Lage vor der Liturgiereform, so
läßt sich feststellen, daß die Kirche im Grunde heute mehr von ihren
Klerikern erwartet als früher, da nicht bloß ein bestimmtes innerhalb von 24
Stunden zu verrichtendes Gebetspensum, sondern eine Tagesheiligung qua
Stundengebet als Grundsatz verlangt wird. Allerdings sind die Regelungen
flexibler und mehr in die Verantwortung des einzelnen gestellt, so daß im
Ergebnis den Klerikern trotz des höheren Anspruchs eine in der Last des Alltags
leichter zu tragende Verpflichtung auferlegt ist. 51
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Die im ersten Gedankengang der Arbeit getroffene
Feststellung, daß das liturgische Recht den Zusammenhang des Gottesdienstes mit
der kirchlichen Gemeinschaft sichern soll und dabei auch auf die persönlichen
Bedürfnisse des Beters Rücksicht nimmt, kann in der Frage nach der Pflicht zur
Stundenliturgie als bestätigt angesehen werden. Auf der einen Seite ist der
Grund der Stundenliturgie, das stellvertretende Gebet für die Kirche, Maßstab
des Verpflichtungsumfangs. Auf der anderen Seite bildet die persönliche
Situation des Beters einen wichtigen Bezugspunkt, wie in der Forderung nach der veritas
horae zum Ausdruck kommt. Auch die erleichterte Praxis der Verschiebung oder
der rechtmäßigen Auslassung von Horen, die verstärkt in die Verantwortung des
einzelnen gelegt wurde, deutet in diese Richtung. Daß gleichwohl der Konflikt
zwischen persönlicher Situation und Kirchlichkeit des Betens zugunsten der
Kirchlichkeit gelöst wurde, daß nämlich auch bei nicht zeitgerecht möglichem
Gebet gleichwohl alle Horen verbindlich bleiben, ist sicher ein Problem.
Angesichts des Umfangs des Offiziums von insgesamt einer reichlichen Stunde und
der Möglichkeit muttersprachlicher Rezitation, wiegt das aber nicht viel.
Bedenkt man, daß Eltern für ihre Kinder neben ihren sonstigen Verpflichtungen
weit mehr als eine Stunde des Tages widmen müssen und dies zurecht von ihnen
verlangt wird, so kann man von einem Kleriker, der keine Familie hat, sicher ein
gewisses Gebetspensum für die ihm anvertrauten Gläubigen erwarten, das über
dasjenige der ständigen Diakone, die zumeist Familie und Zivilberuf haben,
hinausgeht. Damit dieses Pensum aber nicht als Last empfunden wird, gilt es,
Liebe und Verständnis für die Stundenliturgie zu wecken. Der einzelne Beter
ist gefordert, sich das Stundegebet zu eigen zu machen. Das gibt ihm Gelegenheit
zur geistlichen Formung und Schulung. Die Frage der Aneignung aber fällt nicht
mehr in die Kompetenz des Kirchenrechts, sondern ist Aufgabe der
Liturgiewissenschaft und der Theologie der Spiritualität im Rahmen der
Ausbildung der künftigen Kleriker, die nach c. 246 § 2 auch eine Einführung
in die Stundenliturgie umfaßt.
|
14 |
1
Peter Morant OFMCap., Das Psalmengebet, 2. Aufl. Freiburg u.a, S. 31. Ohne
Angabe zitierte Canones (c., bzw. cc.) sind solche des Codex Iuris Canonici
(CIC) von 1983. Die Abkürzungen richten sich im übrigen nach den gängigen
Abkürzungsverzeichnissen der Theologischen Realenzyklopädie (TRE) bzw. des
Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Auflage (LThK³); zusätzlich: LKStKR =
Lexikon des Kirchen- und Staatskirchenrechts, hrsg. v. A. v. Campenhausen ...,
Paderborn, u.a. 2000 ff.
2 Als Beispiel für eine derartige Rubrizistik sei ein Auszug aus Philipp
Hartmann/Johannes Kley, Repertorium Rituum, Zusammenstellung der rituellen
Vorschriften für die bischöflichen und priesterlichen Funktionen, 14. Aufl.
Paderborn 1940, S. 211 über das große Kreuzzeichen angeführt: "Vorerst
vereine man beide Hände vor der Brust, lege dann die linke Hand flach vor die
Brust (infra pectus, ungefähr in der Gegend des Herzens) und suche beifolgende
Figur [im Original ist eine Skizze in Form eines Kreuzes beigegeben; oben
beginnend sind die Seiten im Uhrzeigersinn mit Buchstaben bezeichnet, die Mitte
mit e, Anm. E.S.] möglichst genau (nicht in kreisförmiger Bewegung)
nachzubilden, d.h. man erhebe die rechte Hand mit ausgestreckten und
aneinandergeschlossenen Fingern bis zur Stirn (a) in der Linie ea, wobei die
innere Handfläche dem Körper bzw. der Stirn ganz zugekehrt sein muß, berührt
danach wirklich (nicht scheinbar) mit den Spitzen der drei ersten Finger unter
den Worten In nomine Patris die Stirn, ohne das Haupt dabei zu neigen, lasse
dann in der geraden Linie (ab) die Hand bis zur Brust hinab, berühre diese und
spreche et Filii, hierauf führe man die Hand zur linken Schulter, berühre sie
und spreche et Spiritus, nun bringe man die etwas gekrümmte Hand (in gerader
Linie cd) zur rechten Schulter (d) und berühre sie und spreche sancti und
vereine bei Amen die Hände wieder vor der Brust."
3 Vgl. hierzu Philipp Hartmann/Johannes Kley, Repertorium Rituum, S. 4 f.: "die
wesentlichen Stücke [Rubriken, Anm. E.S.] verpflichten unter schwerer Sünde.
Die unwesentlichen Vorschriften sind teils verbindlich (präzeptiv), teils
unverbindlich (direktiv). Die verbindlichen Vorschriften verpflichten in
wichtigen Dingen schwer, sonst leicht. Die unverbindlichen Rubriken sind nur
Räte oder Anweisungen ohne Verpflichtung."
4
Vgl. Hans D. Jarass, in: Hans D. Jarass / Bodo Pieroth, Grundgesetz für die
Bundesrepublik Deutschland, 5. Aufl. München 2000, Art. 5, Rn. 67.
5
Vgl. Michael Kunzler, Die Liturgie der Kirche, Paderborn u.a. 1995, S. 250.
6 Vgl. Ilona Riedel-Spangenberger, Grundbegriffe des Kirchenrechts, Paderborn,
u.a. 1992, S. 170 (Lemma: Liturgisches Recht). Zum Liturgiebegriff aus
liturgiewissenschaftlicher Perspektive vgl. Michael Kunzler, Die Liturgie der
Kirche, S. 35-49.
7
Vgl. Theodor Maas-Ewerd, Art. "Liturgie", in: PLSp., Sp. 797 ff.
8
Vgl. Norbert Brieskorn, Rechtsphilosophie, Stuttgart u.a. 1990, 25 ff.;
9
Vgl. Bernd Rüthers, Rechtstheorie, München 1999, Rn. 71, der die
unterschiedlichen Elemente der hier vorgelegten Definition benennt.
10
Vgl. allgemein zur Rechtsqualität der Rubriken, I. Palazzini, Art. "Ius
Liturgicum", in: P. Palazzini (Hrsg.), Dictionarium Morale et Canonicum Bd.
2, Rom 1965, S. 891.
11
Vgl. zu den Aufgaben heutiger Liturgiewissenschaft Emil Joseph Lengeling, Art.
"Liturgie/Liturgiewissenschaft", in: NHThG Bd. III, S. 279, 298 ff.:
Erschließung der geltenden Liturgiebücher.
12
Allerdings wird diese Trennung zwischen dem Recht in den liturgischen Büchern
und den Regelungen im CIC nicht immer durchgehalten, vgl. dazu die eingehende
Analyse von Stefan Rau, Die Feiern der Gemeinden und das Recht der Kirche - Zu
Aufgabe, Form und Ebenen liturgischer Gesetzgebung in der katholischen Kirche,
Altenberge 1990, S. 472 ff.
13
Vgl. Ludger Müller, in: HdbKathKR², § 72: Begriff, Träger und Ordnung der
Liturgie, S. 780, 784 ff.
14
Vgl. Winfried Aymans/Klaus Mörsdorf, Kanonisches Recht Bd. I, Paderborn u.a.
1991, S. 108 f.
15
Zu diesem Problem vgl. Michael Kunzler, Die Liturgie der Kirche, 252 f. m.w.N.;
Burkhard Neunheuser, Nachvollzug vorgegebener Formen, in: Notitiae 18 (1982), S.
356-366. Die Berücksichtigung der konkreten Feiergemeinde ist ein besonderes
Anliegen von Stefan Rau, Die Feiern der Gemeinden und das Recht der Kirche, S.
478 ff.
16
Vgl. zum Problem Klemens Richter, Spontaneität, Kreativität und liturgische
Ordnung nach dem neuen Missale, in: BiLi 43 (1970), S. 7-14.
17
Vgl. Rupert Berger, Art. "Rubriken. II. Liturgiewissenschaftlich", in:
LThK³ Bd. VIII, Sp. 1340 f.
18
Es wäre Aufgabe einer zeitgemäßen Rubrizistik, die heute wesentlichen Normen
genau herauszuarbeiten. Dabei sei angemerkt, daß die Unterscheidung von
wesentlichen und unwesentlichen Rubriken eine wichtige Fragestellung der
älteren Rubrizistik war, vgl. K. Schrod, Art. "Rubriken", in: KL Bd. X,
Sp. 1342 f.
19
Vgl. Balthasar Fischer, Das Stundengebet im Codex Iuris Canonici von 1983, in:
Martin Klöckner/Heinrich Rennings (Hrsg.), Lebendiges Stundengebet -
Vertiefung und Hilfe, Freiburg u.a. 1989, S. 98, 102.
20
Vgl. Heribert Jone, Gesetzbuch der lateinischen Kirche Bd. 1, 2. Aufl. Paderborn
1950, S. 163 mit Hinweisen auf die moraltheologische Literatur.
21
Dieser Ausspruch geht auf Papst Bonifaz VIII. zurück, vgl. Karl Josef Merk, Das
Brevier des Säkularklerus, Stuttgart-Degerloch 1950, S. 30 f.
22
Anders stellt sich die Lage bei den Ordensklerikern und den sog. freien
Säkularklerikern dar, die kein benefizium inne hatten, sondern aufgrund ihres
Gelübdes oder aufgrund der Weihe zum Stundengebet verpflichtet waren.
Historisch gesehen war die Verpflichtung zur Stundenliturgie eine aus dem
monastischen Raum stammende Chorpflicht. Sie ergriff er allmählich den
Säkularklerus, vor allem über das Benefizialwesen. Am Ende der Entwicklung
steht die heute noch geltende persönliche Verpflichtung jedes Klerikers zum
Stundengebet. Instruktiv hierzu ist die mit vielen Nachweisen versehene
Abhandlung von Karl Josef Merk, Das Brevier und der Säkularklerus.
23
Vgl. Eduard Eichmann/Klaus Mörsdorf, Kirchenrecht, Bd. 1, 7. Aufl. Paderborn
1953, S. 272.
24
Das Benefizialwesen wurde in der nachkonziliaren universalkirchlichen
Gesetzgebung abgeschafft. Partikularrechtliches Sonderrecht gilt aber noch
teilweise fort. Gleichwohl hat das Benefizialwesen für die Begründung einer
Offiziumspflicht keine Bedeutung mehr, vgl. Maximilian Hommens, Art. "Benefizium",
in: LKStKR Bd. I, S. 236 f.; William Woestman, The Sacrament of Orders and the
Clerical State - A Commentary on the Code of Canon Law, Ottawa 1999, S. 171.
25
So verspricht der Weihekandidat bei der Diakonenweihe ausdrücklich, das Gebet
der Stundenliturgie zu verrichten, vgl. Balthasar Fischer, Das Stundengebet, S.
104 f.
26
Die Ständigen Diakone müssen lediglich Laudes und Vesper beten, vgl. Joseph
Weier, Der Ständige Diakon im Recht der lateinischen Kirche, Essen 1989, S.
90-93.
27
Vgl. Dominicus Michael Meier, Die Rechtswirkungen der klösterlichen Profeß -
Eine rechtsgeschichtliche Untersuchung der monastischen Profeß und ihrer
Rechtswirkungen unter Berücksichtigung des Staatskirchenrechts, Frankfurt am
Main u.a. 1993, S. 401.
28
Vgl. Andreas Heinz, Art. "Brevier", in: LKStKR Bd. I, S. 301.
29
Vgl. Julio Manzanares, De obligatione liturgiam horarum cotidie persolvendi, in:
Notitiae 27 (1991), S: 189-206; Florencio Testera, The private recitation of the
liturgy of the hours, in: Boletin Eclesiastico de Filipinas 65 (1989), S. 69 ff.
30
Die Reformbemühungen sind ausführlich dokumentiert bei Rudolf Pacik, "Last
des Tages" oder "Geistliche Nahrung"? Das Stundengebet im Werk Josef
Andreas Jungmanns und in den offiziellen Reformen von Pius XII. bis zum II
Vaticanum, Regensburg 1997.
31
Auf die Vorgaben der Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium (SC), die in
Art. 83 bis 101 das Stundengebet behandelt, wird nur ausnahmsweise eingegangen,
da der CIC und das einfache liturgische Recht Anwendungsvorrang haben.
Desungeachtet bleibt SC weiterhin in Geltung und dient vor allem als kritischer
Maßstab für das einfache Recht.
32 Vgl. Balthasar Fischer, Das Stundengebet, S. 101 f.
33
M. Zalba, Theologiae Moralis Compendium Bd. 2, Madrid 1958, S. 199-200:
"omissio cuiusvis horae, sin minus propter extensionem, saltem quia afficit
partem principalem Officii in se completam, censeatur gravis."
34
Vgl. José A. Abad, c. 1174 (comentario), in: Comentario Exegético al Código
de Derecho Canónico, Bd. III, Pamplona 1996, S. 1680; Heinrich J. F. Reinhardt,
in: Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici, Essen, c. 1174, Rn. 2
(Stand: November 1986).
35
Im weiteren wird nach der AES zitiert. Sie findet sich abgedruckt in:
Stundenbuch, Band 1: Advent und Weihnachtszeit, Freiburg u.a. 1987, S 25*-106*.
Die IGLH findet sich in: Liturgia Horarum iuxta Ritum Romanum, editio typica
altera, Tom I, Tempus adventus, tempus Nativitatis, Rom 1985 (Neudruck: Rom
2000), S. 21-94.
36
Vgl. den frommen Ratschlag von Joan. Evang. Goeser, Preces et meditationes ante
et post Missam ..., 2. Aufl. Tübingen 1884, S. 387 (Regulae vitae
sacerdotalis). "4. Breviarium tempore fixo, Matutinum et Laudes, quantum
fieri potest, semper pridie recita."
37
Hier sind im einzelnen zu nennen: Verteilung des Psalters auf vier Wochen
anstatt auf eine Woche, Umwandlung der Matutin in eine Lesehore, die zu jeder
Zeit des Tages auch am Vorabend, gebetet werden kann (Art. 59 AES), Wegfall der
Prim, Verbindlichkeit von lediglich einer kleinen Hore.
38
Vgl. José A. Abad, c. 1175 (comentario), in: Comentario Exegético Bd. III, S.
1682.
39
Vgl. Angelus A. Häussling, Art. "Tagzeitenliturgie IV. Kirchenrechtliche
Bestimmungen", in: LThK³ Bd. IX, Sp. 1240: "Aufgrund von c. 1175 halten
namhafte Kanonisten die Rechtspflicht für erloschen, wenn die der einzelnen
Hore zukommende Tagzeit aus triftigem Grund nicht eingehalten werden
konnte." (Vertreter dieser Ansicht benennt Häussling freilich nicht);
Julio Manzanares, De obligatione ..., Notitiae 27 (1991), S. 189, 205 m.w.N. Der
gleichen Ansicht ist wohl auch Emil Joseph Lengeling, lebendiger gottesdienst,
die konstitution des zweiten vatikanischen konzils über die heilige liturgie,
Münster 1964, S. 192.
40
Dieser Ansicht ist Luigi Chiapetta, Il Codice di Diritto Canonico Bd. II, 2.
Aufl. Rom 1996, S. 441, Rn. 4308. Vgl. aber die kritische Anmerkung zu dieser
minimalistischen, dem Geist der Liturgiereform widersprechenden Meinung bei
Francis G. Morrisey (Hrsg.), The Canon Law Letter and Spirit - A practical
guide to the Code of Canon Law, Collegeville, Minnesota 1995, S. 665 f. (zu c.
1174).
41
Vgl. Rupert Berger, Neues Pastoralliturgisches Handlexikon, Freiburg u.a. 1999,
S. 490 (Lemma: Stundengebet).
42
William Woestman, The Sacrament of Orders, S. 172 f.
43
So auch José A. Abad, c. 1175 (comentario), in: Comentario Exegético Bd. III,
S. 1682 f.
44
Wie hier Florencio Testera, The private recitation of the liturgy of the hours,
S. 77: "All Canonical Hours, when not recited at the corresponding
chronological time, must be said within the natural day which goes from midnight
to midnight." Instruktiv für das Ordensrecht Dominicus Michael Meier, Die
Rechtswirkungen der klösterlichen Profeß, S. 401: "Kann einer an einer Hore
nicht teilnehmen, so hat er sie privat nachzubeten."
45
So hat jüngst die Gottesdienstkongregation auf eine Anfrage hin festgestellt,
daß auch Laudes und Vesper nachgebetet werden müssen (Prot. N. 2330/00/L vom
15. November 2000): "Mit anderen Worten, das Hindernis, welches die Einhaltung
der richtigen Gebetszeit verhindert, ist nicht aus sich heraus ein Grund,
welches von der Verrichtung der Laudes und der Vesper entbindet." Vgl.
Antwortschreiben der Kongregation für den Gottesdienst und die
Sakramentenordnung auf die Frage bezüglich der obligatorischen Verrichtung des
Stundengebetes, in: AfkKR 169 (2000), S. 544-547 = Responsa ad quaestiones circa
obligationem persolvendi liturgiam horarum, in Not. 37 (2001), S. 190-194.
46
Es kann daher nicht angehen, wenn Balthasar Fischer, Das Stundengebet, S. 101 f.
mit Berufung auf Art. 29 AES meint, lediglich Laudes und Vesper seien noch
richtig verbindlich. Dagegen spricht schon, daß die von der Deutschen
Bischofskonferenz festgelegte Verpflichtung der ständigen Diakone zum
Stundengebet eben Laudes und Vesper als ein gegenüber den sonstigen Klerikern
reduziertes Pensum vorschreiben. E contrario muß die Verpflichtung der übrigen
Kleriker also weiter sein! Vgl. Joseph Weier, Der Ständige Diakon im Recht der
lateinischen Kirche, S. 91 f., der Laudes und Vesper schon für den Ständigen
Diakon als zu geringes Pensum ansieht.
47
Vgl. Balthasar Fischer, Das Stundengebet S.103 f. Zu dem Aspekt der
Stellvertretung im Stundengebet siehe auch. Walter Dürig, Das stellvertretende
Beten des Priesters - Gedanken zum Stundengebet ohne Gemeinde, 2. Aufl. St.
Ottilien 1989.
48
Vgl. José A. Abad, c. 1175 (comentario), in: Comentario Exegético Bd. III, S.
1682.
49
"Wer im Stundengebet die Psalmen betet, tut das nicht so sehr im eigenen
Namen, sondern im Namen des ganzen Leibes Christi, ja in der Person Christi
selbst. Diese Grundeinsicht behebt die Schwierigkeiten, die sich aus dem
Gegensatz zwischen dem Text eines Psalms und der Gemütslage des Beters ergeben
könnten; so kann, wer in Trauer ist, einen Jubelpsalm beten, wer freudig
gestimmt ist, vermag eine Klagelied zu singen. Im Privatgebet, wo man einen
Psalm nach der persönlichen Stimmung frei wählen kann, ist das ja leicht zu
vermeiden. Im Stundengebet werden die Psalmen aber nicht privat, sondern
öffentlich im Namen der Kirche gebetet, auch von dem, der eine Hore gerade
allein vollzieht. Doch wer so im Namen der Kirche betet, kann immer einen Grund
zur Freude und einen Grund zur Trauer finden; denn auch hier gilt das Wort des
Apostels: ‚Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden'
(Röm. 12,15)."
50
Der Normtext in Art. 29 AES schließt ein völliges Auslassen aus gerechtem
Grund nicht aus. Doch sei hier noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen,
daß der Grundsatz der veritas horae für die Frage der Auslassung keine
Bedeutung hat und sich somit auf den Verpflichtungsumfang nicht auswirkt. Die
gegenteilige Ansicht mag sich auf den "Geist des Konzils" berufen, auf
das positive nachkonziliare liturgische Recht kann sie sich indes nicht
stützen. Damit ist freilich nicht gesagt, daß eine Änderung de lege ferenda
nicht möglich wäre.
51
William Woestman, The Sacrament of Orders, S. 173 betont zurecht, daß die
eigenverantwortliche Entscheidung über den Umfang der Pflicht zur
Stundenliturgie den betroffenen Kleriker auch überfordern kann. Daher gibt es
trotz der grundsätzlichen Eigenverantwortung des Klerikers gleichwohl noch eine
gewisse Dispenspraxis durch den Ordinarius. Allein das zeigt aber auch, daß die
Pflicht zur Stundenliturgie eben eine Pflicht und keine Sache der subjektiven
Beliebigkeit ist.
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