Das Verhältnis von Kirche und Staat aus katholischer Sicht

Von Richard Puza

 

Inhaltsverzeichnis

  1. 1. Teil: Methodische Hinweise
    1. Einführung
    2. Vom Vergleich religiöser Rechte zum Dialog
  2. 2. Teil: Thesen zum Verhältnis von Kirche und Staat aus katholischer Sicht
    1. Der Dualismus und dessen Wirkgeschichte
    2. Die Rolle des Naturrechts für das Verhältnis von Kirche und Staat
    3. Der moderne "katholische Dualismus" I: Ekklesiologie und Kirchenrecht. Vom Ersten Vatikanischen Konzil zum ersten Codex Iuris Canonici von 1917. Auf dem Weg zur katholischen Trennung von Kirche und Staat
      1. Das erste Vatikanische Konzil
      2. Papst Leo XIII. und das Ius publicum ecclesiasticum
      3. Der Codex Iuris Canonici von 1917
    4. Der moderne "katholische Dualismus" II: Ekklesiologie und Kirchenrecht. Das Zweite Vatikanische Konzil und der Codex Iuris Canonici von 1983. Die neue katholische Sicht
      1. Das Institutionenverhältnis von Kirche und Staat: communio statt societas perfecta
      2. Kirchenfreiheit (libertas ecclesiae) als Basis des Verhältnisses von Kirche und Staat
      3. Die Päpste
      4. Der Codex Iuris Canonici von 1983
      5. Konkordate und Kirchenverträge
  3. 3. Teil: Thesenhafte zusammenfassende Darstellung anhand von Beispielen
    1. Die katholische Sicht des Verhältnisses von Kirche und Staat: Traditionslinien
    2. Die religionsrechtsvergleichende Betrachtungsweise: Einzelner Fragen
      1. Das Verhältnis von religiösem und staatlichem Recht
      2. Das Verhältnis der Kirche zur Demokratie
      3. Theokratie oder Nomokratie?
      4. Bei wem liegt das Recht, Gesetze zu interpretieren?
      5. Wer gestaltet aktiv das Verhältnis der Kirche zum Staat
      6. Die Rolle von Religion und Kirche im Staat
      7. Die Menschenrechte
      8. Das Verhältnis von Religion und Recht
  4. Schluss

 

1. Teil: Methodische Hinweise

 

A. Einführung

 
1. Man kann das Verhältnis von Kirche und Staat unter verschiedenen Blickwinkeln betrachten: von Seiten des Staates, des staatlichen Rechtes und der weltlichen Staatslehre oder von Seiten der Kirchen und Religions-, auch Weltanschauungsgemeinschaften, des kirchlichen Rechtes und der Theologie und der kirchlichen Staatslehre. Die Frage nach dem Verhältnis von Kirche und Staat ist eine alte Frage. Sie begleitet die Kirche von ihren Anfängen an. Im abendländischen Christentum ist sie zu einem zentralen, vielfach auch Konflikt beladenem Wirkungsfaktor der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung geworden. Gleichwohl stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von Kirche und Staat immer wieder neu. Sie tut das je nach der historisch-konkreten, soziologischen, kulturellen und politisch geprägten Situation, in der Kirche und Staat sich begegnen und miteinander verstehen. Wie das Wesen des Staates und der Kirche, so hat auch ihr Verhältnis zueinander im Laufe der Jahrhunderte unterschiedliche Deutung erfahren.

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2. Eine allgemein anerkannte Lehre über ihr Verhältnis gibt es auch heute nicht. Jedenfalls ist heute die Gesellschaft mit ein zu beziehen. Es hat sich aber eine Anzahl von Ordnungsmodellen oder Ordnungstypen staatlicher Lösung herausgebildet, die sich auf drei Grundformen zurückführen lassen: Erstens, die historisch frühere Verbindung von Kirche und Staat. Zweitens, der erst seit der Neuzeit verwirklichte Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche, wobei im idealtypischen Fall das Verhältnis des Staates zu den Religionsgesellschaften sich genauso darstellt wie das Verhältnis des Staates zu anderen, in seinem Bereich bestehenden Vereinen. Drittens, die Scheidung der staatlichen und kirchlichen Bereiche unter Aufrechterhaltung des öffentlich-rechtlichen Status der Kirchen und der kirchlichen Autonomie. Alle drei Systeme haben im Laufe der Geschichte ihre Verwirklichung gefunden. Meist lässt sich die Rechtslage aber nicht ohne Rest auf einen der drei Ordnungstypen verrechnen. Übergangs- und Mischformen entstehen durch Abschwächung des einen Systems und die Übernahme einzelner Elemente aus dem anderen. Das gilt insbesondere auch für Deutschland, dessen Staatskirchenrecht bis heute Teile der verschiedenen historischen Schichten des Verhältnisses von Staat und Kirche beibehalten hat. Wenn man das Verhältnis von Kirche und Staat ab dem 19. Jh. betrachtet, so sind darüber hinaus zwei Ebenen zu unterscheiden: Die Ebene der Institutionen Kirche und Staat und die Ebene der einzelnen Kirchenglieder bzw. der Gruppen (Vereine) von Kirchengliedern. Die zweite Ebene soll bewusst in die Erörterungen mit einbezogen werden, weil sie durch das 2. Vatikanische Konzil, aber auch im Codex Iuris Canonici von 1983 eine entsprechende Anerkennung und Aufwertung erfahren hat. Wenn es sich dabei auch um zwei verschiedene Formen politischer Tätigkeit bzw. des Verhältnisses von Kirche und Staat handelt, so können diese beiden Ebenen jedoch nicht getrennt voneinander gesehen werden.

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3. Von großer Bedeutung für das Verhältnis von Religion, Kirche und Staat ist das Recht. Sowohl der Staat als auch die Katholische Kirche haben entsprechende Normen über das Verhältnis von Kirche und Staat ausgebildet. Im Kirchenrecht finden sich einschlägige Normen heute im Codex Juris Canonici 1983. Von ihnen wird noch die Rede sein. Im staatlichen Recht werden diese Normen als Staatskirchenrecht bezeichnet. Unter Staatskirchenrecht sind zunächst jene Normen zu verstehen, die der Staat für die Kirchen und Religionsgesellschaften erlässt. Beim Staatskirchenrecht handelt es sich also um staatliche Normen. Sie sind z.B. im Wege der Vereinbarung zwischen Kirche und Staat entstanden (Kirchenvertragsrecht, konkordatäre Vereinbarungen). Schwieriger ist es, den Bereich des Staatskirchenrechtes abzugrenzen, also festzustellen, welche Regelungen das Staatskirchenrecht betreffen. Der Bereich des Staatskirchenrechtes soll hier nicht zu eng gefasst werden, er beinhaltet demnach: Erstens, Normen, die der Staat für einzelne Kirchen und Religionsgesellschaften erlässt, die die Rechtsstellung der Kirchen und Religionsgesellschaften im Staat, zum Staat und untereinander sowie gegenüber dem einzelnen regeln. Zweitens, jener Bereich staatlicher Normen, der die Grundrechte des religiösen Lebens erfasst. Drittens, Vorschriften, welche die Religionsgemeinschaften zwar nicht ausdrücklich erwähnen, aber doch diese im wesentlichen Ausmaß einschlussweise betreffen. Zu diesem gewissermaßen äußeren Kreis gehören beispielsweise Vorschriften, welche die Rechtsstellung von Körperschaften öffentlichen Rechtes betreffen und damit implizit auch die Kirchen und Religionsgemeinschaften mit erfassen. Auch bloße tatsächliche Zusammenhänge, wie der Umstand, dass die meisten privaten Schulträger kirchliche Institutionen sind, vermögen die Zuordnung einer Materie, hier etwa des Privatschulrechtes - zum Staatskirchenrecht in einem weiteren Sinn zu rechtfertigen.

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4. Das Verhältnis von Kirche und Staat aus katholischer Sicht wird in den weiteren Ausführungen mit historischer und religionsrechtsvergleichender Betrachtungsweise so aufbereitet werden, dass ein konstruktiver Dialog daraus entstehen kann. So im 2. Teil "A. Thesen zum Verhältnis Kirche und Staat aus katholischer Sicht. Der Dualismus und dessen Wirkgeschichte." "B. Die Rolle des Naturrechtes für das Verhältnis von Kirche und Staat." "C. Der moderne "Katholische Dualismus I. Ekklesiologie und Kirchenrecht. Vom Ersten Vatikanischen Konzil zum ersten Codex Iuris Canonici 1917. Auf dem Weg zur katholischen Trennung von Kirche und Staat." "D. Der moderne "Katholische Dualismus II. Ekklesiologie und Kirchenrecht. Das Zweite Vatikanische Konzil und der Codex Iuris Canonici von 1983. Die neue katholische Sicht." Aus der Religionsrecht vergleichenden Methode und der historischen Betrachtungsweise werden sich auch die Einzelfragen ergeben, die einer besonderen Behandlung innerhalb des Abschnittes "D. Thesenhafte Zusammenfassende Darstellung an Hand von Beispielen" unterzogen werden sollen, sei es weil sie besonders charakteristisch für den Katholizismus sind, sei es, weil sie besonders dem Dialog dienen, auch weil sie aktuelle Probleme aufgreifen.

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B. Vom Vergleich religiöser Rechte zum Dialog

 
Wegen der besonderen Bedeutung des Rechtes für das Verhältnis von Religion, Kirche und Staat ist Rechtsvergleichung im Bereich religiöser Rechte eine Voraussetzung des interreligiösen Dialoges. Sie ist eine bisher vernachlässigte Aufgabe. Sie kann auf verschiedene Weise erfolgen, z. B. implizit, historisch oder auch durch den Vergleich der Grundlagen, Methoden und Institutionen. Ich habe in einem Aufsatz in der Zeitschrift DAIMON 5 (2006) mehrere Bereiche als Vergleichsobjekt vorgeschlagen, von denen ich jene, die das Verhältnis von Kirche, Staat und Gesellschaft berühren, nennen möchte: 1) Zunächst sind Fragen der Rechtstheologie zu nennen: Wie begründet sich das religiöse Recht theologisch? Was ist seine Bestimmung und Funktion? 2) Rechtsphilosophische Fragen: Wie wird die Einheit und/oder Differenz von religiösem Recht und Naturrecht gesehen, wie der Status der Menschenrechte, wie der Zusammenhang von vernünftigem und positivem Recht? 3) Die Anwendung und Auslegung des Rechtes? 4) Und nicht zuletzt die Frage nach dem Verhältnis von Religion und Gesellschaft, Kirche und Staat. Also die Frage nach dem Außenverhältnis des religiösen Rechts.

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Liegt religiöses Recht vielleicht nur dann vor, wenn es geoffenbart ist, oder genügt es, dass es auf religiösen Prinzipien basiert. R. G. Renard hat die These aufgestellt, dass, wie er im Plural sagt, die staatlichen Rechte eine Gesellschaft regeln, deren Horizont durch die Zeit begrenzt ist, daher wäre es besser, von "säkularen" Rechten zu sprechen. Im Gegensatz dazu sei die vom kanonischen Recht geregelte Gesellschaft eine geistige Gemeinschaft, die auf die Ewigkeit verweist. Der Vergleich zwischen den beiden Rechtsordnungen ist also nur unter Bedingungen möglich, die auf den Wechsel des Zieles Bezug nehmen. Charakteristika religiösen Rechtes seien die fehlende Gewaltentrennung und die nicht ausreichende Unterscheidung von forum externum und forum internum, ferner der mangelnden Vorrang des Textes und dessen Exegese, das heißt der Auslegung nach dem Wortlaut des Gesetzes. Das kanonische Recht unterscheidet sich damit wesentlich von den anderen staatlichen Rechten.

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Die These von der Wiederentdeckung der Besonderheit eines religiösen Rechtes im Gegensatz zu allen anderen staatlichen Rechten betrifft nicht nur das katholische Kirchenrecht. 700 Jahre vor Renard hat schon der Rabbiner Nissim Gherondi behauptet, dass die Tora innerhalb der normativen Systeme der Nationen der Welt einmalig war, weil ihre Gesetze und ihre Gebote nicht nur die Erhaltung der Gesellschaft zum Ziel hatten, sondern auch das Herabsteigen der göttlichen Weisheit auf die jüdische Nation und seine Gemeinschaft mit ihm. Wenn man auf die mehr technischen Elemente schaut, ist es leicht festzustellen, dass das Vorherrschen des Textes in der exegetischen Methode das jüdische Recht noch mehr charakterisiert als das kanonische Recht und auch die Unterscheidung von internen und externen Akten ist dort nicht unbekannt: die göttliche Gerechtigkeit, die integraler Bestandteil des juristischen Systems ist, stellt auch die Motive und die Absichten den Handlungen und dem Verhalten gleich. Ist es demnach möglich, von den von Renard vorgeschlagenen Kriterien ausgehend eine Kategorie juristische religiöser Systeme zu konstruieren, die den Systemen des weltlichen Rechtes entgegengesetzt sind?

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Einige Jahre nach Renard hat René David geschrieben: "Das kanonische Recht der Katholischen Kirche, oder das der Evangelischen oder der Reformierten Kirchen ist, obwohl sie religiöse Rechte sind, dem französischen, holländischen, dänischen oder schottischen Recht, also laikalen Rechten, die politische Gesellschaften regeln, näher als dem muslimischen Recht oder dem der Hindu, die religiöse Rechte von Gemeinschaften von Gläubigen sind. Ich möchte diese Fragen jetzt nicht weiter vertiefen. Das katholische Kirchenrecht, im Folgenden auch kanonisches Recht genannt, basiert jedenfalls auf religiösen Prinzipien. Fest steht, dass das katholische Kirchenrecht Recht ist. Ich meine, dass man von einem allgemeinen, Staat und Kirche umfassenden Rechtsbegriff ausgehen kann. Der Unterschied liegt in der Funktion des Rechtes, was schon bei Renard zum Ausdruck kommt.

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2. Teil: Thesen zum Verhältnis von Kirche und Staat aus katholischer Sicht

 

A. Der Dualismus und dessen Wirkgeschichte

 
1. Der Religion kommt für den gläubigen Menschen und die den Glauben jeweils repräsentierende religiöse Gemeinschaft existenzielle Bedeutung zu. Es geht weniger um das "Ob" sondern um das "Wie viel", wenn von Religion die Rede ist. Die in Vergangenheit und Gegenwart zu verzeichnende Schärfe religionspolitischer Auseinandersetzungen beruht nicht zuletzt auf dieser existenziellen Bedeutung des religiösen Anspruchs. Diese Problematik ist nicht erst durch die Kirche aufgekommen, doch hat sie durch die Kirche ihre besondere Verdichtung und weltgeschichtliche Dimension erhalten. Auch die vorchristliche Antike kannte vereinzelt Konfliktlagen zwischen religiösem und politischem Anspruch, sie blieben jedoch individuelle Ausnahmen in einer Welt, die von der Einheit religiöser und politischer Ordnung geprägt war.

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2. Im Neuen Testament wird das Verhältnis von Kirche und Staat an mehreren Stellen berührt. Es enthält jedoch keine geschlossene Lehre vom Staat oder vom Verhältnis von Kirche und Staat wohl aber, durchaus im Rahmen damaliger jüdischer Tradition, Aussagen zu politischen Herrschaft, die vor allem auf das Verhalten der Christen gegenüber der staatlichen Gewalt und nur insofern auch auf das Verhältnis von Kirche und Staat zielen. Mochte die Kirche auch prinzipiell loyal gegenüber jeder politischen Obrigkeit sein (siehe Röm. 13, 1-18), mochte ihr auch nichts ferner liegen als revolutionäre Umgestaltung der politischen und gesellschaftlichen Ordnung, sie musste im Einheitsgefüge des Römischen Imperiums dann in Konflikt mit dem Staat geraten, wenn dieser einen Anspruch erhob, den die Kirche nur ihrem Herrn aber keiner ethischen Größe konzedieren konnte.

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3. Von großer Wirkgeschichte ist Jesu Reaktion auf die ihm gestellte Frage, wem mehr zu gehorchen sei? Auf sie reagiert er mit dem Wort vom Zinsgroschen: "Gebt dem Kaiser was des Kaisers und Gott was Gottes ist!" (Mk 12, 17). Der daraus resultierende Dualismus von Kirche und Staat stand im Laufe der Geschichte nicht immer im Vordergrund.

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4. In dieser Stelle bei Markus kann ein Ansatzpunkt für die Verschiedenheit von geistlicher und weltlicher Ordnung, ordo spiritualis und ordo temporalis, gesehen werden, den andere Religionsgemeinschaften, auch die Bibel, nicht kennen. Sie ist auch die Basis dafür, einen Bereich menschlichen Verhaltens dem Gesetz Gottes, einen anderen Bereich dem Gesetz des Kaisers zu unterstellen. Die ganze Geschichte des Christentums wurde diese Unterscheidung in sehr verschiedener Weise beachtet. Aber es muss festgehalten werden, dass sich diese Unterscheidung in Judentum nicht findet. Moshe Silberg hat geschrieben, dass diese Stelle etwas Neues ist, das aus der Schule des Christentums stammt. Das Judentum anerkennt nicht "was des Kaisers ist". Das religiöse Gesetz der Juden, die Halachá macht keinen funktionalen Unterschied zwischen weltlichen Materien, die ausschließlich der politischen Autorität unterstehen, und Materien, die das geistliche Wohl betreffen, die der Jurisdiktion der religiösen Organe unterstehen. Die Halachá beschäftigt sich mit allen weltlichen Fragen, genau in derselben Weise wie mit den Fragen, die die Beziehungen zwischen den Menschen und der Gottheit betreffen. Das kanonische Recht hingegen anerkennt die rechtliche Natur von Normen, die vom staatlichen Gesetzgeber erlassen sind in jenen Materien, die es nicht selbst regelt. Dem im Christentum vorherrschenden Modell des Dualismus steht im jüdischen Rechtsdenken ein monistisches Modell gegenüber. Die historische Entwicklung ist allerdings viel differenzierter verlaufen. In der Geschichte des Christentums sind die weltlichen Angelegenheiten durchaus nicht außerhalb der Reflexion und des Urteiles der Kirche geblieben. Sie sind als res spirituales in den Schoß der Kirche zurückgekehrt. Die Kirche machte unter dem spirituellen Gesichtspunkt und der salus animarum ihre Kompetenz für alle Verhaltensweisen geltend, einschließlich der weltlichen. Ähnlich dem Judentum, vielleicht sogar nach dem Vorbild des jüdischen Rechtes, regelt das klassische Kanonische Recht auch das Vertragsrecht, das Eigentumsrecht, das Ehe- und Familienrecht oder auch das Testamentsrecht. In der abendländischen Entwicklung konnte das Kirchenrecht diesen breiten Anspruch aber nicht halten.

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5. Hervorzuheben ist, ferner, dass gegenüber anderen Religionen im Christentum sich die Kirche als Institution entwickelt hat, ausgestattet mit zentraler Regierungsgewalt über die ganze Gemeinschaft der Gläubigen. So kann man auch von einem Dualismus der Gewalten sprechen. Die Präsenz dieser Institution weist von Anfang an auf die Unabhängigkeit und Autonomie der Kirche von der politischen Autorität hin und gibt der lehrhaften Unterscheidung von Gott und Kaiser rechtlichen Charakter. Die Idee, dass die Menschheit von zwei Autoritäten regiert wird, der religiösen und der weltlichen, erlangte historisch ein solches Gewicht, dass sie auch den extremsten Perioden der Theokratie oder des Caesaropapismus widerstand, in denen man versuchte, die Unterordnung des weltlichen unter den geistlichen Bereich oder umgekehrt einzuführen. Aber man ging nie bis an die Grenze vollkommener Unterordnung. Die Niederlage sowohl jeder theokratischen als auch jeder caesaropapistischen Hypothese ist im Kern schon in der Inkarnation beinhaltet, auf der Ebene der Institutionen des genannten Evangeliums über die Trennung der Gewalten. Die dem Christentum innewohnende Unterscheidung von Ordinierten und Laien verstärkt die Unterscheidung zwischen geistlichem und weltlichem Bereich gegenüber anderen Religionen nur noch.

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6. Die ersten drei Jahrhunderte der Geschichte des Christentums, in denen auch einige fundamentale Elemente der christlichen Lehre entstanden sind, sind gekennzeichnet durch einen dauernden Konflikt mit den politischen Institutionen des römischen Reiches, der zeitweilig auch in Verfolgungen grausame Höhepunkte erlebte. Diese Erfahrung konnte den Geist der Autonomie und Unabhängigkeit der christlichen Gemeinschaft im Hinblick auf die säkulare Welt und ihre Strukturen nur festigen. Damit wurde in der täglichen Praxis auch das dualistische Prinzip, das von Anfang an in der christlichen Lehre präsent war, so gefestigt, dass auch der gewandelte politische und soziale Kontext der folgenden Jahr hunderte dessen Bedeutung und Gewicht nicht völlig vergessen lassen konnte.

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B. Die Rolle des Naturrechts für das Verhältnis von Kirche und Staat

 
1. Bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil war das Verhältnis der Katholischen Kirche zu den Staaten von naturrechtlichen Gedanken getragen. Unter Naturrecht wird die Gesamtheit der Normen verstanden, die aus der von Gott geschaffenen Natur des Menschen abgeleitet und also mit der natürlichen Einsicht in diese Natur ohne Offenbarung verstanden werden können. Das Naturrecht, als säkulare Form des göttlichen Rechts gründet in der Vorstellung, es gebe eine Wesensnatur des Menschen, an der das Recht ausgerichtet werden könne. Tatsächlich sind in der Philosophie und der Rechtswissenschaft zahlreiche Theorien über das Naturrecht entwickelt und ebenso in Frage gestellt worden.

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2. Das Christentum gab dem Gedanken einer alles durchwaltenden Vernunft eine theologische Begründung. Der Geist Gottes ordne die Welt, lehrte Augustinus (354 bis 430), alles werde vom unerforschlichen Ratschluss Gottes gelenkt. Thomas von Aquin (circa 1225 bis 1274) ging von dem Gedanken aus, die Welt sei vernünftig geordnet und diese Ordnung könne durch das Licht der natürlichen Vernunft erkannt werden. Die Gegründetheit der gesamten sittlichen Ordnung, also auch der Rechtsordnung, im Welt ordnenden Vernunftwillen Gottes, nimmt die katholische Rechtsauffassung bis heute an. Dem so verstandenen Naturrecht erschließen sich die gerechten Verhältnisse aus der naturgegebenen Ordnung der Dinge von selbst.

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3. Das kanonische Recht versteht das Naturrecht auch als ius divinum naturale, als jenen Teil des ius divinum, dessen Normen sich der gesunden Vernunft des Menschen erschließen. Die klassische Naturrechtslehre des 17. und 18. Jahrhunderts war von der Überzeugung getragen, dass Grundlage des Rechts die vorgegebenen natürlichen Sachverhalte und anthropologischen Gegebenheiten seien, diese mittels der menschlichen Vernunft erfasst und dementsprechend angemessen kodifiziert werden könnten, sodass die auf diese Weise gefundene Rechtsnorm als ratio scripta gelten kann. Die Annahme, dass das Recht an sich vernünftig und aus der Natur ableitbar sei, war die Voraussetzung für die moderne abendländische Rechtsentwicklung: Die Bindung der Gewalt des Fürsten an die Ratsgremien des Adels, der Stände, der Bürgerschaft" führte über das Budgetbewilligungsrecht zum republikanischen Parlamentarismus und zur Herrschaft der Gesetze aufgrund allgemeiner Gleichheit und gegen die Willkür der Herrschenden, die die Freiheit der Untertanen beschränken. Der Mensch und seine von ihm gestaltete Gesellschaft bildete nun den Maßstab und die gleichzeitige Legitimationsgrundlage des Rechts, das nun selber einen religiösen Charakter erhält, nämlich "Heiligkeit" des Rechts und des Staates sowie der Fahne als Symbol der Verfassung, eigene priesterliche Gewandung der Rechtswahrer, quasi liturgischer Ablauf des Prozesses und anderes mehr.

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4. Das Naturrecht dient aber auch als Basis für ein vernünftiges Miteinander von katholischer Kirche und Staat. Nach kanonistischer Vorstellung ist auch das weltliche Recht in eine Ordnung eingebunden, die sie es übersteigt. Nämlich die Ordnung des Naturrechts, die durch jene Werte und rechtlichen Prinzipien gekennzeichnet ist, deren Befolgung allen Menschen und folglich auch die Regierenden und die Gesetzgeber verpflichtet. Der Katechismus der katholischen Kirche bemerkt dazu: "Das natürliche Gesetz sorgt für das notwendige Fundament des weltlichen Gesetzes: daraus folgt, dass die allgemeine Verpflichtung des Gehorsam gegenüber der verfassungsrechtlichen Autorität geringer wird, wenn die Regierenden ungerechte Gesetze erlassen oder Verpflichtungen gegen die moralische Ordnung vorschreiben (n. 1959)". In diesem Sinn ist es möglich zu sagen, wie es Paul VI. getan hat, dass sie Autonomie des weltlichen Gesetzgebers und des weltlichen Rechtes eine relative ist. Sie ist begrenzt durch die Abhängigkeit von einem übergeordneten Gesetz göttlicher Herkunft. Die Grenzen dieser Autonomie sind darüber hinaus durch das Faktum gekennzeichnet, dass die Kirche die Interpretin des Naturrecht ist. Weil dieses ein Teil des göttlichen Rechtes ist, steht es nur der kirchlichen Autorität zu, zu erklären was dessen Inhalt ist und die Grundsätze authentisch zu interpretieren.

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5. Das Naturrecht, das im weltlichen und im kirchlichen Recht gilt, stellt so auch eine Verbindung zwischen den beiden Rechtsordnungen dar, die es dem kanonischen Recht ermöglicht, dem weltlichen Recht einen weiteren Raum von Legitimität zuzuerkennen, als es in anderen religiösen Rechten möglich ist. Mit anderen Worten, in keinem Fall ist der weltliche Gesetzgeber völlig unabhängig, das heißt frei von einer Bindung an ein Gesetz das er nicht geschaffen hat. Aber die Natur dieses höheren Rechtes ist in den Religionsgemeinschaften nicht gleich. Unterschiedlich sind auch die Ausdehnung und der Inhalt der Grenzen des möglichen Rechtes. 6. Das Naturrecht bzw. Vernunftrecht des 17./18. Jh. lässt sich mit Begriffselementen charakterisieren von denen nur das der Rationalität hervorgehoben werden soll. Rational, d.h. es beruht auf dem Begriff der naturwissenschaftlichen Methode, die als mos geometricus (geom. Methode) bezeichnet wird. Diese Methode bildet die Grundlage des modernen Rationalismus, wonach die Vernunft über die Kompetenz verfügt, für alle und alles in der Welt eine schlüssige und überzeugende Lösung entwickeln zu können. Das Naturrechtsdenken lässt sich samt als eine bestimmte Art der Konfliktlösungstechnik begreifen. Es ist die dem Naturrecht immanente Rationalität, verstanden als universalen Ordnungsstruktur, die allen Völker und Menschen von Natur her entsprechen soll. Das Naturrechtsdenken tritt darum in Situationen von Krisen vermehrt auf. Denn es zielt auf die Vermittlung und zeigt entsprechend wie Konfliktpotentiale neutralisiert und die Konfliktparteien zur kooperativen Konfliktlösung motiviert werden könn(t)en. Das Naturrecht entwickelt eben seine Konfliktlösungstechnik auf einer "natürlichen" Grundlage, die den Konfliktparteien gemeinsam ist. Daraus werden funktionsfähigere neue Strukturen entwickelt. 7. Auch nach kanonischem Recht muss der weltliche Gesetzgeber die Prinzipien des Naturrechtes beachten. Das kann dort zu Konflikten führen, wo die von der Religionsgemeinschaft vorgenommene Bestimmung von Naturrecht nicht mit jener von der staatlichen Autorität vorgenommenen übereinstimmt. Das gilt zum Beispiel für die staatliche rechtliche Regelung der Abtreibung, der Scheidung oder der Euthanasie. Aber diese Polemiken sind eingebunden innerhalb des Horizontes des Naturrechtes, das heißt in rationale Begriffe. Verteidiger und Befürworter der Abtreibung, der Scheidung und der Euthanasie führen den Kampf durch Vortragen von Argumenten und Gegenargumenten, von Rechten der Mutter und des Individuums gegen Rechte des Ungeborenen, der Familie und der Gemeinschaft. Dies ohne in die Debatte nicht rational gerechtfertigte Argumente einzuführen. Die religiöse Begründung des Verbotes der Abtreibung, der Scheidung und der Euthanasie, seine Wurzeln im göttlichen Recht selbst, muss nicht Kern der Argumentation sein, weil in der katholischen Lehre die Idee verwurzelt ist, dass de Illegitimität dieser Einrichtungen unter Rekurs auf die Ratio erklärbar ist. Das göttliche offenbarte Recht, zum Beispiel die Vorschrift, dass der Mensch nicht trennen soll, was Gott verbunden hat, die an der Basis des Verbotes der Scheidung steht, bleibt im Hintergrund der Argumentation. In gleicher Weise ist es nicht notwendig, sich auf die göttliche Natur des naturrechtlichen Gebotes zu berufen, das menschliche Leben zu wahren, dass an der Basis des Verbotes der Abtreibung und Euthanasie steht. Der rechte Gebrauch der Vernunft verweist auf dieses Gebot. Mit anderen Worten, der Gegensatz zwischen den beiden Lagern betrifft den Inhalt, nicht die Methode der Debatte, solange beide Parteien bereit sind auf der Basis der Vernunft zu argumentieren. Das Risiko dabei ist, dass das göttliche Recht in diesen Prozess an den Rand gedrängt wir und das Gott selbst mehr und mehr zum Outsider wird. So scheint das Naturrecht ein ausreichendes Netz der Sicherheit zu bieten, im weltlichen Recht fundamentale religiöse Werte zu beheimaten. Haben andere Religionsgemeinschaften, die das Naturrecht nicht kennen, deshalb größere Schwierigkeiten ihre ethischen Vorstellungen zu verwirklichen oder zu leben?

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C. Der moderne "katholische Dualismus" I: Ekklesiologie und Kirchenrecht. Vom Ersten Vatikanischen Konzil zum ersten Codex Iuris Canonici von 1917. Auf dem Weg zur katholischen Trennung von Kirche und Staat

 

I. Das erste Vatikanische Konzil

 
1. Am ersten Vaticanum und in dessen Vorbereitungsphase wurde der Richtungswechsel in der Frage des Verhältnisses von Kirche und Staat, der dann im Codex iuris canonici 1917 zunächst im Bereich des Kirchenrechts vollzogen wird, vorbereitet. Die Frage wurde in drei verschiedenen Vorbereitungskommissionen behandelt. In der dogmatischen Kommission wurde der klassischen These vom katholischen Staat die Hypothese entgegengehalten, d.h. der Wunsch, die reale Situation der europäischen Welt, in der es keinen katholischen Staat mehr gebe, zu berücksichtigen. Das bedeutete faktisch eine gewisse Schwerpunktverschiebung vom Thema des "katholischen Staates" auf das der "Freiheit der Kirche". So wurde vorgeschlagen, dass es bei dem Kapitel "De officiis potestatis civilis" wichtiger sei, von den negativen Verpflichtungen des Staates als von den positiven zu sprechen. Denn die positiven betreffen das Ideal, das aber unter den damaligen Umständen kaum irgendwo zu verwirklichen sei, die negativen aber hätten ausnahmslos Geltung. In einem späteren Textentwurf, der konsequent von der amerikanischen Erfahrung ausging, wurden die Grenzen des Staates betont und jegliche Verurteilung der konkreten Trennungsregime unterlassen. Beide Gewalten stammen von Gott und sind daher nicht miteinander unverträglich. Verurteilt wurde die Lehre von der Allmacht des Staates, bzw. von dem Staat als Quelle allen Rechtes und aller Sittlichkeit. Das Prinzip der Mehrheit und der Volkssouveränität wurde nicht an sich verurteilt, sondern nur soweit es letztes und absolutes Kriterium für Werte und sittliche Normen zu sein beanspruchte. Von den Rechten der Kirche werden ausdrücklich nur die Freiheit der Ordensgemeinschaften, die Unterrichtsfreiheit und die Freiheit des Papstes zur Kommunikation mit allen Kirchen genannt.

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2. Die Kommission für Kirchendisziplin konnte sich auf eine synoptische Zusammenfassung der Antworten der Bischöfe auf eine Umfrage nach ihren Wünschen zur Reform des geltenden Kirchenrechtes stützen. Die Wünsche und Vorschläge der Bischöfe betrafen vor allem aktuelle Konflikte zwischen Kirche und Staat wie obligatorische Zivilehe, die Kirchenfreiheit, das kirchliche Vermögensrecht, die Konkordate, den Einfluss der zivilen Autorität bei der Ernennung von Bischöfen und Besetzung von Kirchenämtern (das heißt Patronatsrechte und Nominationsrechte), die Laisierung der Schule und die soziale Frage. Die Grundtendenz der Voten und Entwürfe dieser Kommission kann so charakterisiert werden, dass die Kirchenfreiheit, die Libertas ecclesiae, nur im Rahmen der Leitvorstellungen der societas christiana gesehen wird.

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3. Zusammenfassend zeigt die Diskussion auf dem Konzil, dass die Kirche damals schon entschlossen war, gegenüber den Staaten einen differenzierten Weg zu gehen, in Richtung Trennung von Kirche und Staat. Man kann von einer katholischen Rückkehr zum Dualismus von Kirche und Staat sprechen. Das passt auch gut in das zeitliche Umfeld. Einerseits war eine Neufassung des Kirchenrechts notwendig, auch weil sich das Verhältnis von Kirche und Staat verändert hatte. Das bis in die Mitte des 19. Jh. nachwirkende Staatskirchentum, das von einer Einheit des Rechtes unter staatlichem Vorzeichen ausgegangen war, hatte in seiner extremen Form des Josephinismus die Eigenständigkeit der kirchlichen Rechtsordnung gegenüber dem Recht des Staates in Frage gestellt. Dieses Staatskirchentum wurde abgelöst vom System der Staatskirchenhoheit. Die damit rudimentär gewonnene Kirchenfreiheit verlangte auch einen kirchenrechtlichen Neubeginn. Das universale Recht der katholischen Kirche bedurfte einer neuen Basis. Gleichzeitig entwickelte sich die Religionsfreiheit zu einem Grundrecht. In diesem Prozess gewann das Instrument des Konkordates an Bedeutung.

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II. Papst Leo XIII. und das Ius publicum ecclesiasticum

 
1. Wir haben früher festgestellt das zwischen dem weltlichen und dem geistlichen Bereich unterschieden werden muss. Die Kirche beansprucht Autonomie und Unabhängigkeit im geistlichen Bereich. Aber sie ist bereit, unter gewissen Grenzen eine analoge Autonomie und Unabhängigkeit des Staates und der übrigen weltlichen Institutionen anzuerkennen. Im Laufe der Geschichte hat die kanonistische Doktrin mehr als einmal die Unterscheidung zwischen den beiden Bereichen bis hin zur völligen Unterordnung des Staates minimalisiert. Aber ab dem Beginn der Neuzeit mussten die Kanonisten diese theokroatischen mittelalterlichen Theorien verlassen und solche entwickeln, die der Autonomie der nun entstandenen Nationalstaaten Rechnung trugen. Das führte in die Anerkennung des Prinzips einer eigenen Ordnung der Kirche und einer eigenen Ordnung des Staates, wobei die Lehre von der societas perfecta auch auf den Staat angewendet wurde. Es entstand die Lehre vom Ius Publicum Ecclesiasticum. Sie wurde von römischen Kanonisten des 19. Jahrhunderts entwickelt, die auf die Würzburger Schule katholischer Staatsrechtler des 18. Jahrhunderts zurückgreifen konnte, um die Kirche aus der Umklammerung des Staates zu lösen. Diese neue Diszplin hat in ihrem ersten Teil, dem IPE internum, die Lehre von der societas perfecta entwickelt, in ihrem zweiten Teil, dem Ius Publicum Ecclesiasticum externum ausführlich das Konkordatsrecht behandelt.

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2. Das Ius Publicum Ecclesiasticum barg in seinem Kern die Lehre von der Societes perfecta. Diese trug den Gedanken in sich, daß Staat und Kirche voneinander unabhängige Gesellschaften seien. Beide berührende Fragen sind im Wege des Konkordates zu regeln. Diese Lehre von der Societas perfecta entwickelte sich im 19. Jahrhundert allmählich zur klassischen Kurzformel für die wesensmäßige Verschiedenheit der Kirche gegenüber dem Staat, für ihre Eigenrechtsmacht und damit ihre Unabhängigkeit in ihrem Eigenbereich von der staatlichen Gewalt..

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3. Diese Lehre erreichte mit Leo XIII.1 (Papst seit 1878-1903) ihre Reife und endgültige Form. Er hat in der Enzyklika "Immortale Dei" 1885 die Lehre von der societas perfecta auch auf den Staat angewandt. So wie Leo XIII. Religion und Politik als aufeinander bezogene Verschiedenheiten wahrnimmt, betont er stets aufs Neue die wesensmäßige und damit unaufheb- und unaufgebbare Unterschiedenheit von Kirche und Staat. Sie hat ihren letzten Grund im Wesen (auch) der Kirche als einer societas perfecta, insofern nämlich beide societates perfectae unterschiedliche Endzwecke haben. Es wäre aber ein Fehlschluss, daraus die vollständige Trennung (disparatio; separation) von Kirche und Staat, mit anderen Worten die religiöse Neutralität des Staates ableiten zu wollen. Leo XIII. erhebt die grundsätzliche Forderung nach einer friedlichen und freundschaftlichen Verständigung zwischen Kirche und Staat mit dem Ideal des konfessionellen Staates und der rechtlichen Verständigung durch Konkordate. Aus dem sittlichen Wächteramt der Kirche auch über den Bereich der natürlichen Sittlichkeit folgt eine mittelbare Gewalt der Kirche gegenüber dem Staat im Sinne einer negativen Abhängigkeit, die lediglich untersagen will, daß der Staat Gesetze erläßt, die dem aller Willkür entzogenen positiven natürlichen göttlichen Gesetzen widersprechen. Zu beachten bleibt hier: Wenn die Kirche auch ein solch negatives Urteil fällt, betätigt sie nicht irgendwelche unmittelbare Jurisdiktionsgewalt über den Staat, sondern macht Gebrauch von ihrer Lehrgewalt.

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4. Das von Leo XIII. entwickelte philosophisch-naturrechtlich fundierte kirchenpolitische System hat eigentlich bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil gehalten. In der Lehre Leos wird sicher die vorneuzeitliche Einheitskonzeption vom inhaltlichen Zusammenwirken zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt prinzipiell noch aufrechterhalten. Auch das staatliche Recht legitimiert sich fast vollständig aus der Moral, denn es ist nach Leo nichts anderes als eine facultas moralis. Dennoch findet sich eine Abschwächung dieser Position, die von gewissem Verständnis für den modernen Staat zeigt. In der Tradition Bellarmins und dessen Lehre von der potestas indidrecte in temporalibus (des Papstes) stehend, mildert er sie gegenüber der Institution Staat im Grunde zu einer potestas directiva gegenüber den christlichen Staatslenkern und Bürgern. Ein positiv-neutrales Trennungsmodell und die Gewährung individueller wie korporativer Religionsfreiheit liegen zumindest im Bereich des Denkmöglichen. Auch wenn sie nicht als wünschenswert erscheinen.

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III. Der Codex Iuris Canonici von 1917

 
1. In der Diskussion in der Kommission ab 1904 ist es von Anfang an klar, dass das kirchliche öffentliche Recht nicht mitkodifiziert wird. Die Kommission nahm von Anfang an das Verhältnis von Kirche und Staat nicht direkt ins Visier. Das zeigt auch die "Aufteilung der Materien", die in der Vorbereitungskommission ausführlich beraten wurde. Das Verhältnis von Kirche und Staat, kam nur am Rande in der Diskussion der Konsultoren und Kardinäle zur Sprache. Der Weg, der hier gegangen wurde, war ein ganz anderer. Man hat erst im Laufe der Arbeit am Codex die Erfahrung gemacht, dass man den Codex nicht ohne Rücksicht auf die konkreten Verhältnisse von Kirche und Staat machen kann, dass auf die staatlichen Regierungen Rücksicht zu nehmen ist.

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2. Die vorgenommene Regelung im Codex war nämlich die, die Rechte der Kirche gegenüber Staat und Gesellschaft einseitig zu betonen. Ein Schlüssel für das Verständnis des Verhältnisses des Codex zur Frage Kirche und Staat ist das Konsultationsverfahren zu den Entwürfen des CIC, das Gasparri ab 1912 und zur Promulgationsbulle 1917 unter einigen ausgewählten Bischofstühlen durchführte. Eine ganze Palette von Bestimmungen aus den Schemata des Codex taucht dabei auf, bei denen es Schwierigkeiten mit den Staaten geben könnte, wegen bestehender Verträge mit den Regierungen oder wegen bestehenden Gewohnheitsrechtes. Auch die Intoleranz gegenüber Nichtkatholiken wurde genannt.

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3. Den genannten Schwierigkeiten begegnet man durch die Einleitungsbestimmungen des Codex, insbesondere c. 3 über die Konkordate und deren voller Weitergeltung und c. 5 über bestehendes Gewohnheitsrecht. Die Folge war, daß es bis heute neben den Codex den großen Bereich des konkordatären Rechtes gibt. Hatte dieses zu Zeiten des CIC/1917 seine Basis im IPE so seit dem zweiten Vatikanischen Konzil in dessen Erklärungen über die Kirche in der Welt von heute und über die Religionsfreiheit.

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D. Der moderne "katholische Dualismus" II: Ekklesiologie und Kirchenrecht. Das Zweite Vatikanische Konzil und der Codex Iuris Canonici von 1983. Die neue katholische Sicht

 

I. Das Institutionenverhältnis von Kirche und Staat: communio statt societas perfecta

 
1. Am ehesten wird man den Wandel, der seit dem 2. Vatikanischen Konzil eingetreten ist, dadurch kennzeichnen können, dass sich das Kirchenbild nicht nur in Nuancen verändert hat. Das Verhältnis von Kirche und Staat wurde von katholisch-kanonistischer Seite bis in die Zeit nach dem 2. Vatikanischen Konzil hinein vom Ius Publicum Ecclesiasticum und dessen Lehre getragen. Das 2. Vatikanische Konzil hat es vermieden, von der Kirche als von einer vollkommenen Gesellschaft zu sprechen. Es hat die Kirche als communio gesehen. Zu ihrer Charakterisierung dienten verschiedene Bildbegriffe. Dabei wurde auch das Bild vom Populus Dei, dem pilgernden Volk Gottes, das biblischen Ursprungs ist, wiederentdeckt. Die Parallele zum Staat, die vor allem in der societas-perfecta-Lehre offensichtlich ist, wurde abgelehnt, die Andersartigkeit der Kirche als Heilsgemeinschaft betont.

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2. Das musste natürlich auch zu einem Überdenken des Verhältnisses von Kirche und Staat führen. E. W. Böckenförde hält die societas-perfecta-Lehre als Ausgangspunkt für die Zuordnung von Kirche und Staat für untauglich. Dieses Modell sei zu stark von Voraussetzungen bestimmt, die durch den grundlegenden Wandel der politisch-sozialen Ordnungsformen in den letzten Jahrhunderten entfallen sind. "Die Berufung auf den rechtlichen Maßgeblichkeits- und Ausbreitungsanspruch der objektiven Wahrheit, der letztlich hinter dem societas-perfecta-Modell steht, kann der heutige Staat nicht als Rechtsprinzip in seiner eigenen Ordnung anerkennen. Auch die Kirche selbst hat wesentliche Ansprüche, die mit der societas-perfecta-Lehre gegenüber dem weltlich-politischen Bereich und dem Staat als seiner maßgeblichen Organisationsform begründet werden sollten, im 2. Vatikanischen Konzil zurückgenommen".

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3. In der nachkonziliaren Zeit ist allerdings auch eine teilweise Renaissance der societas-perfecta-Lehre feststellbar. Wenn man genauer hinsieht, stellt man allerdings fest, dass die Autoren nicht auf den Charakter der Kirche als societas perfecta und die daraus folgenden Ansprüche abstellen, sondern darauf, dass die Kirche überhaupt eine eigenständige societas sei. Es geht um die Selbständigkeit als Rechtsperson und eine eigene Verfasstheit der Kirche innerhalb der menschlichen Gesellschaft, die ihre Unabhängigkeit sichert. Sie soll, wie schon das 2. Vaticanum in LG Art. 8 ausdrückt, ut societas constituta et ordinata sein. Auch E. W. Böckenförde meint, dass darin in der Tat ein richtiger und wichtiger Ausgangspunkt für die Zuordnung der Kirche zu Staat und Gesellschaft, den es festzuhalten gilt, liege. Aber dies mache keineswegs das Wesen der societas-perfecta-Lehre aus, die vielmehr auf eine Art parallele Zu- und schließliche Überordnung der Kirche gegenüber dem Staat abziele.

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II. Kirchenfreiheit (libertas ecclesiae) als Basis des Verhältnisses von Kirche und Staat

 
1. Die seit dem 2. Vaticanum und dessen ekklesiologischen Aussagen in den Vordergrund getretene katholische Position kann man folgendermaßen zusammenfassend charakterisieren: Durch das 2. Vaticanum hat die bisherige Lehre wesentliche Wandlungen erfahren. Das Verhältnis von Kirche und Staat aus der Sicht der katholischen Kirche findet seine Grundlage in der individuellen Religionsfreiheit, der institutionellen Kirchenfreiheit und der Zusammenarbeit im Dienste der beiderseitigen Aufgaben an denselben Menschen. Die Kirche hat sich damit der Wirklichkeit des modernen demokratischen Gemeinwesens geöffnet. Die katholische Kirche bekennt sich zur Religionsfreiheit als einem Prinzip, das in der Würde des Menschen und in der Offenbarung Gottes begründet ist. Daraus und aus der Gemeinwohlauflage leitet sich die Pflicht des Staates zur Garantie der individuellen und korporativen Religionsfreiheit ab. Bevorzugt wird die Kooperation zwischen Kirche und Staat zum Wohl der beiden Institutionen angehörigen Menschen, damit wird eine radikale Trennung von Kirche und Staat abgelehnt. Konkordate stellen sich damit auch weiterhin als adäquate Regelungsinstrumente der Beziehungen zwischen Kirche und Staat dar.

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2. So wird nach dem 2. Vatikanischen Konzil nunmehr ein neues Modell der Zuordnung von Kirche und Staat in den Vordergrund gestellt, das von der institutionellen Eigenständigkeit der Kirche auf der Grundlage der Religionsfreiheit ausgeht. Die Kirche kann in der Gesellschaft freien Bewegungsraum finden und über die Gläubigen in die Gesellschaft hinein und auf den Staat hin wirken. Sie soll nicht darauf verzichten, dem Staat als solchem gegenüberzutreten. Die alte Institutionenbeziehung verdient, wenngleich in grundlegend veränderter Form, aufrecht erhalten zu werden. Denn die Kirche tritt in ihrer Verkündigung, in ihrem (geistlichen) Leben und Wirken auf als Verkörperung und Repräsentant eines Bereiches - der ,geistlichen Zwecke' - die der religiös-weltanschaulich neutrale Staat außerhalb seiner Kompetenz (und Ordnungsaufgabe) lässt, der aber gleichwohl zur Lebenswirklichkeit der im Staat zur politischen Einheit verbundenen Menschen hinzugehört und in seinen Auswirkungen die weltliche Ordnung des Zusammenlebens vielfach tangiert.

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3. Von daher hat es seinen Sinn, dass die Kirche nicht allein auf dem Boden der Gesellschaft agiert und sich bewegt, vielmehr dem Staat, wenn auch ohne äußere potestas, eigenständig als Repräsentant der von ihm nicht (mehr) umgriffenen, ,geistlichen Zwecke' gegenübertritt. Das Prinzip der Religionsfreiheit bietet eine normative Basis dafür."

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4. Kennzeichen dieser Form von Zuordnung sind die Selbständigkeit und freie Wirksamkeit der Kirche, das System einer balancierten Trennung von Staat und Kirche, die Legitimation des Körperschaftsstatus der Kirchen und bestimmte Grenzbestimmungen dieser Zuordnungsformen. Die Inanspruchnahme der Religionsfreiheit kann dazu führen, dass christlicher Einfluss sich in der Gesellschaft und im staatlichen Leben zur Geltung bringt, etwa auch die Rechtsordnung mitprägt. Der Sauerteig hat die Möglichkeit, ist er kraftvoll genug, die Welt zu durchsäuern. Aber über solchen Einfluss kann nicht die Grundlage, auf der er, rechtlich und institutionell gesehen, beruht, nämlich die Religionsfreiheit als das Prinzip der Zuordnung und die religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates als deren Komplement, in Frage gestellt werden.

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5. Das Konzil regelt die nähere Bestimmung der Beziehungen zwischen Kirche und Staat in der Erklärung über die Religionsfreiheit: Unter Aufrechterhaltung des dogmatischen Wahrheitsanspruchs der Kirche wird die Basis der Beziehungen von Kirche und Staat in der Würde des Menschen unter Berücksichtigung der in seiner sozialen Natur grundgelegten Religionsfreiheit mit ihrem individuellen und ihrem kooperativen (institutionelle Kirchenfreiheit) Aspekt gesehen. Das Neue am 2. Vaticanum liegt ja gerade in der konziliaren Anerkennung des religiös-neutralen Charakters des Staates, der nach Wegfall seiner religiösen Grundlage nicht über religiös "wahr" oder "irrig" entscheiden darf, in der Absage an das in seiner Tradition bis in die Antike zurückgehende Postulat der Staatskirche und des mit einer Konfession verbundenen Staates. Hier begegnet sich die Lehre des Konzils mit der Tradition der Naturrechtslehre.

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III. Die Päpste

 
Die Päpste des Konzils, Johannes XXIII. und Paul VI. haben die Lehre des Konzils beeinflusst und weiterentwickelt. Die kirchliche Soziallehre, die in den Sozialenzykliken der Päpste entwickelt wurde, hat das Menschenrechtsdenken ad extra aber auch in der Kirche gefördert. Johannes XXIII. hat die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948" in der Enzyklika "Pacem in terris" 1963 in das kirchliche Denken übernommen und sich für die Gleichstellung der Frau im Staat eingesetzt. Paul VI. hat sich mit positiven Worten zur Laizität geäußert. Galt die Demokratie für die Kirche bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil nicht als die ideale Staatsform, so hat die Kirche seit der Erklärung des Konzils über die Religionsfreiheit versucht, ein neues Verhältnis zu den Prinzipien von Demokratie und Öffentlichkeit zu entwickeln. Heute versteht sie sich selbst als ein Teil der demokratischen Zivilgesellschaft. Oder, wie es Johannes Paul II. ausgedrückt hat: "als Großbewegung zur Verteidigung und zum Schutz der Würde des Menschen". In Missionen, Ansprachen und in den von ihm abgeschlossenen Konkordaten hat dieser Papst die Vorstellungen des Konzils praktiziert, weiter entwickelt und in Rechtsnormen gegossen: "In den Konkordaten wird der Geist des Konzils lebendig".

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IV. Der Codex Iuris Canonici von 1983

 
1. Ursprünglich wollte man in einem Kirchlichen Grundgesetz, der Lex Ecclesiae Lundamentalis (LEF) die Frage des Verhältnisses von Kirche und Staat breiter ansprechen. Diese LEF ist nicht gekommen, Teile davon wurden in den Codex Iuris Canonici aufgenommen. Unter den Kanonisten wird diskutiert, welche Bedeutung das kirchliche Gesetzbuch für das Verhältnis von Kirche und Staat hat. Dabei werden insbesondere zwei Positionen vertreten: Erstens, wird behauptet, dass gar nicht erwartet werden könne, dass zu dieser Frage im neuen CIC eine direkte Stellungnahme zu finden sei. Zweitens, wird festgestellt - und dem wird man auch zustimmen können - dass der Codex zwar keinen thematischen Abschnitt über das Verhältnis von Kirche und Staat enthalte, jedoch jedes der sieben Bücher im jeweiligen Kontext und an zentralen Stellen bedeutsame Aussagen über die Koexistenz der kirchlichen und der staatlichen Rechtsordnung und damit zum Verhältnis von Kirche und Staat mache. Der Codex enthält im Sinne eines unverzichtbaren Minimalbestandes die Postulate der Katholischen Kirche sowohl im Hinblick auf die individuelle Religionsfreiheit der Gläubigen als auch auf die korporative Religionsfreiheit, d.h. auf die Freiheit der Kirche als rechtlich verfasster Institution. Diese Forderungen erhebt die Katholische Kirche überall in der Welt und unabhängig von jedem jeweilig herrschenden politischen System. Im CIC von 1983 sind also wesentliche und zentrale Rechtsnormen beinhaltet, die das Verhältnis von Kirche und Staat bestimmen. Der CIC ist aber nicht die einzige Rechtsquelle, die diese Frage betrifft, es muss noch einmal auf die Konkordate verwiesen werden.

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2. An Beispielen aus dem CIC/1983 seien genannt: C. 3 betont die Weitergeltung und den Vorrang der Konkordate vor dem CIC. Der c. 365 § 1 n. 2 erwähnt als besondere Aufgabe eines päpstlichen Gesandten die Befassung, den Abschluss und die Durchführung von Konkordaten. Grundlegend für das Verhältnis von Kirche und Staat ist c. 204 § 2, wenn dort betont wird, dass die Kirche Christi in der Katholischen Kirche verwirklicht ist und in dieser Welt als Gesellschaft verfasst und geordnet ist. Manche sehen in dieser Bestimmung ein Wiederaufleben der societas-perfecta-Lehre. Die cc. 362ff. über das päpstliche Gesandtschaftswesen haben immer wieder auch das Verhältnis zu den Staaten im Auge. Aus dem Verfassungsrecht sind weiter zu nennen die cc. 208ff. (Pflichten und Rechte aller Gläubigen) und 224ff. (Pflichten und Rechte der Laien), sowie c. 285 § 3 (Verbot für Kleriker, öffentliche Ämter anzunehmen, die eine Teilhabe an der Ausübung weltlicher Gewalt mit sich bringen) und c. 287 § 2 (Tätigkeit der Kleriker in politischen Parteien und Gewerkschaften). In c. 377 § 5 wird betont, dass in Zukunft weltlichen Autoritäten keine Rechte und Privilegien in Bezug auf Wahl, Nomination, Präsentation oder Designation von Bischöfen eingeräumt wird. Zum Verhältnis von Kirche und Schule (cc. 796ff.) wird betont, dass unter Ablehnung jedes staatlichen Schulmonopols katholische Eltern zur katholischen Erziehung ihrer Kinder verpflichtet sind. Ferner wird gefordert, dass die Eltern in der Wahl der Schule wirklich frei sein müssen. Der Religionsunterricht und die katholische religiöse Erziehung, die in den Schulen jeglicher Art vermittelt oder in den verschiedenen sozialen Kommunikationsmitteln geleistet werden, unterstehen der kirchlichen Autorität (c. 804). Der Codex verpflichtet den Ortsordinarius, um die Anstellung von Religionslehrern besorgt zu sein, die sich durch Rechtgläubigkeit, durch das Zeugnis christlichen Lebens und durch pädagogisches Geschick auszeichnen (c. 804 § 2). Wer immer im Namen der Kirche eine Lehrtätigkeit in katholischer Religion ausübt, bedarf hierzu eines besonderen kirchlichen Sendungsauftrages (missio canonica). Daher hat der Ortsordinarius für seine Diözese das Recht, die Religionslehrer zu ernennen bzw. zu approbieren und sie, wenn es aus religiösen oder sittlichen Gründen erforderlich ist, abzuberufen bzw. ihre Abberufung zu verlangen (c. 805). Auch die Universitäten und Hochschulen werden erwähnt. Hier gibt es allerdings eine eigene Konstitution (Sapientia Christiana) mit einem Anpassungsdekret für die Bundesrepublik Deutschland. Im Eherecht hält die Kirche an einem eigenen Eherecht für Katholiken fest. Der Kirchenaustritt wird jetzt im Eherecht beachtet (z.B. wer austritt, ist nicht mehr an die kirchliche Formvorschrift gebunden). C. 747 betont den Auftrag der Glaubensverkündigung. Christus, der Herr hat der Kirche das Glaubensgut anvertraut. Es ist ihr angeborenes Recht, auch unter Einsatz der ihr eigenen sozialen Kommunikationsmittel, unabhängig von jeder menschlichen Gewalt, allen Völkern das Evangelium zu verkündigen. Auch kommt es der Kirche zu, immer und überall die sittlichen Grundsätze auch über die soziale Ordnung zu verkündigen wie auch über menschliche Dinge jedweder Art zu urteilen, insoweit die Grundrechte der menschlichen Person oder das Heil der Seelen dies erfordern. Cc. 331 und 363 betreffen die Frage der Vertretung der Kirche nach außen. Genannt werden der Papst, das Bischofskollegium, aber auch der Bischof für seine Diözese.

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V. Konkordate und Kirchenverträge

 
Konkordate sind Vereinbarungen zwischen der katholischen Kirche und Staaten. In der Bundesrepublik waren bis zum Fall der Mauer neben den Konkordaten für das Verhältnis von Kirche und Staat vor allem auch die Verträge, die die Bischöfe oder mehrere Bischöfe mit den Ländern abschlossen, von wesentlicher Bedeutung. Das Konkordat hat den Vorteil, dass darin keine allgemeine und grundsätzliche Lösung gesucht wird, sondern dass die Stellung der Kirche in und gegenüber Staat und Gesellschaft von Fall zu Fall näher bestimmt wird. Diesen Weg ist die katholische Kirche seit dem Wormser Konkordat immer wieder vorzugsweise gegangen. Sie suchte über Konkordate Positionen der alten Ordnung und Zuordnung so weit wie möglich zu sichern oder neu zu stabilisieren, aber auch vorsichtig sich neuen Gegebenheiten anzupassen. Durch das 2. Vatikanische Konzil und dessen Aussagen über das Verhältnis von Kirche und Staat ist das scheinbar dem alten System verbundene Konkordat in Diskussion geraten. Insbesondere weil die Konzilsväter in der Pastoralen Konstitution über die Kirche in der Welt von heute "Gaudium et spes" (GS) Art. 76 Abs. 5 festgelegt hatten, dass die Kirche auf Privilegien [gegenüber den Staaten] dann verzichten werde, wenn ihre Glaubwürdigkeit durch deren Gebrauch in Gefahr geraten würde. So wurde sehr rasch von einem Teil der Wissenschaft die Auffassung vertreten, dass das Konzil das Konkordat als Regelungsinstrument verworfen habe. Diese Auffassung lässt sich aber nicht den Konzilstexten entnehmen. Das Konzil definiert das Verhältnis von Kirche und Staat als die sana cooperatio zweier autonomer Partner (GS Art. 76 Abs. 3). Beide betreffende Fragen sind daher auch im Wege des gegenseitigen Einverständnisses zu regeln. In den Konkordatstexten wird der Wandel der kirchlichen Position sichtbar. Seit dem Fall der Berliner Mauer haben die Konkordate und Verträge beim Neuaufbau des Verhältnisses von Kirche und Staat nicht nur in den fünf neuen Deutschen Bundesländern sondern auch in den mittelosteuropäischen Ländern und darüber hinaus eine große Rolle gespielt.

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3. Teil: Thesenhafte zusammenfassende Darstellung anhand von Beispielen

 

A. Die katholische Sicht des Verhältnisses von Kirche und Staat: Traditionslinien

 
Die katholische Sicht des Verhältnisses von Kirche und Staat kennt mehrere Traditionslinien:
  1. Die Lehre vom Dualismus von Kirche und Staat und vom Dualismus der beiden Herrschaften, der politischen und der religiösen.
  2. Die naturrechtliche Tradition.
  3. Den neuen "katholischen Dualismus" seit dem Ersten Vatikanischen Konzil.
  4. Die Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils, die von der Religionsfreiheit ausgeht.

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B. Die religionsrechtsvergleichende Betrachtungsweise: Einzelner Fragen

 
Die religionsrechtsvergleichende Betrachtungsweise fördert Gemeinsamkeiten und Unterschiedlichkeiten der Sicht der einzelnen Religionen zu Tage. Dadurch wird der Dialog erst möglich. Einzelne Fragen seien nun noch angesprochen:

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I. Das Verhältnis von religiösem und staatlichem Recht

 
1. Das kanonische Recht, das einst - im Corpus Iuris Canonici - für res spirituales und res mixtae einen weiten Geltungsbereich umfasste, der auch das Familienrecht, das Eherecht und Kindschaftsrecht, das Testamentsrecht und selbst das Vertragsrecht umfasste, hat sich auf die innerkirchliche Geltung zurückgezogen.

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2. Der Vorrang religiösen Rechts gegenüber dem staatlichen Recht wird nur noch in Grenzen beansprucht. Die Geltung des kanonischen Rechtes weicht im weltlichen Bereich, von Ausnahmen abgesehen, dem staatlichen Recht.

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3. Wenn das kirchliche Recht auf das staatliche verweist, erlangen Regeln, die auf menschlicher Logik basieren, religiöse Gültigkeit nur dann nicht, wenn sie dem göttlichen Recht widersprechen.

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4. In den meisten Ländern verbietet das Prinzip der Rechtseinheit die Anwendung kirchlichen Rechts in weltlichen Angelegenheiten. Außer es besteht kirchliche Zuständigkeit, wie bei der Frage des Erwerbs der Kirchengliedschaft in Deutschland und Österreich.

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5. In Ländern, deren Rechtsordnung vom Prinzip der Anwendung religiösen Rechts beherrscht ist, wenden religiöse Gerichte kanonisches Recht in Angelegenheiten des Personalstatuts ihrer Religionsangehörigen an. Dies gilt z. B. für Länder mit Hindurecht. Für Israel gilt dies nur für den Bereich des engeren Eherechtes.

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II. Das Verhältnis der Kirche zur Demokratie

 
1. Eine zentrale Frage für die katholische Kirche und ihr Recht ist jene nach dem Verhältnis zur Demokratie. In der katholischen Kirche hat sich auch darin im Zweiten Vatikanischen Konzil ein Wandel vollzogen. Es gibt aber noch Diskussionsbedarf.

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2. Dass Demokratie die anerkannte Regierungsform der Staaten ist, steht seitdem fest. Das Konzil hat die demokratische Regierungsform bevorzugt.

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3. Die Christen leben im weltlichen, säkularen Staat mit Angehörigen anderer Überzeugungen in Freiheit zusammen. Zusammengehalten freilich von der gemeinsamen moralischen Verantwortung, die sich aus dem Wesen des Menschen und aus dem Wesen der Gerechtigkeit ergibt.

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4. Schwer tut sich die katholische Kirche mit innerkirchlicher Demokratie.

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5. Kennzeichen religiösen Rechtes sind immer noch das Weitertragen von Auffassungen nicht säkularisierter und nicht-demokratischer Gesellschaften. Hierarchische Strukturen herrschen gegenüber demokratischen Strukturen vor, bei gleichzeitiger Synodalität. Die Menschenrechte gelten nur beschränkt.

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6. Die Möglichkeit der Etablierung demokratischer Elemente wird nicht ausgeschlossen. Es soll nicht verschwiegen werden, dass Benedikt XVI., Joseph Ratzinger, zusammen mit Hans Maier in einem gemeinsamen Bändchen durchaus Möglichkeiten und Bereiche einer Demokratisierung der Kirche aufgezeigt haben. Dazu zählen die Beteiligung des Gottesvolkes an der Bischofsernennung und die Einführung von Verwaltungsgerichtsbarkeit. Ein solches Element kann auch die Diözesansynode, schon in ihrer heutigen rechtlichen Form sein, wie ich im Gefolge von Hervé Marie Legrand festgestellt habe.

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III. Theokratie oder Nomokratie?

 
1. Im System der Regierung der Kirche ist Gott die höchste Autorität.

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2. Im System der Regierung der Staaten regierten bis in das 20. Jahrhundert Kaiser und Könige in seinem Namen. Heute regieren sie im Namen des Rechtes, das vom Volke ausgeht. Die Bürger sind nicht den Regierenden untergeordnet sondern dem Recht.

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3. Gilt es, "besser von Nomokratie als von Theokratie zu sprechen" auch für die katholische Kirche?

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4. Der christliche Glaube hat die Idee der politischen Theokratie aufgehoben. Auch die Katholische Kirche betrachtet das Haupt des Staates nicht als Repräsentant Gottes auf Erden. Der Mensch, der geschaffen und nicht Schöpfer ist, ist notwendigerweise begrenzt, und kann nicht mit Gott verglichen werden. Das verhindert auch die Gefahr, dass der Regierende im Namen der Religion diese für negative Zwecke missbraucht.

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5. Das religiöse Haupt der katholischen Kirche ist der Papst. Der Papst ist Stellvertreter Christi. Er ist höchster Lehrer, Gesetzgeber, Verwalter und Richter. Er hat den Jurisdiktionsprimat. Das Recht der Kirche geht nicht vom Volk aus. Die Christgläubigen haben aber auf ihre Weise Anteil am Werden und Untergehen des Rechtes.

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IV. Bei wem liegt das Recht, Gesetze zu interpretieren?

 
1. Die Interpretation des Gesetzes liegt in der katholischen Kirche in den Händen des Menschen und nicht im Himmel. Es gibt aber 1) die authentische Interpretation, die dem Gesetzgeber vorbehalten ist. Sie wird dadurch den Gelehrten verweigert! 2) Gibt es die Kanonisation des göttlichen Rechtes, die dem Papst vorbehalten ist, und die Erkenntnis von Naturrecht, die dem höchsten Lehramt vorbehalten ist. Der sensus fidelium spielt nur eine untergeordnete Rolle in der wenig ausgebildeten Form der Beispruchsrechte Konsens und Konsilium oder der Rezeption. Bei der Erkenntnis von Naturrecht ist heute in der Literatur aber durchaus von einer dialogalen Verfahrensweise die Rede.

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2. Für einen demokratischen Konsens besteht in der katholischen Kirche bei Entscheidungen der Hierarchie nur begrenzter Raum. Die Christgläubigen haben in der Kirche Mitverantwortung, Konsens / Zustimmung und Konsilium / Rat bzw. Rezeption sind aber unterentwickelt. Die öffentliche Meinung kann aber bindende Kraft bekommen, nämlich dann, wenn sie die Form von Gewohnheit annimmt. Die Gewalt der Christgläubigen auch religiöses Recht zu ändern, zeigt, dass das katholische System der Regierung kein Konzept von Theokratie ist.

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V. Wer gestaltet aktiv das Verhältnis der Kirche zum Staat

 
1. Die Jurisdiktionsträger, Papst, in seinem Namen die Römische Kurie, und Diözesanbischöfe sind die Aktiven im Institutionenverhältnis.

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2. Die Christgläubigen haben als Staatsbürger aber einen eigenen Auftrag. Sie sind in der Gestaltung dabei frei. Das gilt nicht nur für die Laien mit ihrer Weltverantwortung. Auch die Amtsträger können sich unter bestimmten Voraussetzungen politisch betätigen.

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VI. Die Rolle von Religion und Kirche im Staat

 
1. Die Religion spielt eine wichtige Rolle im staatlichen Bereich, indem sie übergesetzliche Werte zu Grunde legt, verfassungsrechtliche Grundprinzipien festlegt, die die Konsensgesetzgebung in ihre Überlegungen miteinbeziehen muss. Das Böckenförde´sche Axiom lautet: "Der Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht geschaffen hat".

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2. Der Staat ist auf verschiedenen moralischen Werten aufgebaut, das Recht geht vom Volke aus, und ist diesen göttlichen Werten verpflichtet. Die Institutionen, die für die Sozialordnung zuständig sind, müssen die harmonische Verwaltung dieser Rechte und Werte garantieren.

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3. Die Aufgabe der Kirche wird als Wächteramt oder auch als ihr Öffentlichkeitsauftrag bezeichnet.

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4. Auch nach kanonischem Recht muss der weltliche Gesetzgeber die Prinzipien des Naturrechtes beachten. Das kann dort zu Konflikten führen, wo die von der Religionsgemeinschaft vorgenommene Bestimmung von Naturrecht nicht mit jener von der staatlichen Autorität vorgenommenen übereinstimmt. Das gilt zum Beispiel für die staatliche rechtliche Regelung der Abtreibung, der Scheidung oder der Euthanasie.

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5. Mit anderen Worten, der Gegensatz zwischen den beiden Lagern betrifft den Inhalt, nicht die Methode der Debatte, solange beide Parteien bereit sind, auf der Basis der Vernunft zu argumentieren. Das Risiko dabei ist, dass das göttliche Recht in diesen Prozess an den Rand gedrängt wird und dass Gott selbst verdrängt und zum Outsider wird. So scheint das Naturrecht ein ausreichendes Netz der Sicherheit zu bieten, im weltlichen Recht fundamentale religiöse Werte zu beheimaten. Haben andere Religionsgemeinschaften, die das Naturrecht nicht kennen, deshalb größere Schwierigkeiten, ihre ethischen Vorstellungen zu verwirklichen oder zu leben?

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VII. Die Menschenrechte

 
1. Die katholische Kirche hat heute ad extra, begründet in der katholischen Soziallehre der Päpste, deren Sozialenzykliken und besonders seit Johannes XXIII. ein positives, förderndes Verhältnis zu den Menschenrechten, wie der Unverletzlichkeit des Lebens, an dessen Beginn und an dessen Ende, zu Abtreibung und Euthanansie, auch zur Religionsfreiheit.

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2. Ad intra fällt es ihr aber immer noch schwer, manche Werte der demokratischen Gesellschaft, wie die Menschenrechte zu verwirklichen. Das zeigt ein Blick in den Katalog der Pflichten und Rechte aller Christgläubigen im Codex Iuris Canonici von 1983, deren Durchsetzbarkeit und die Diskussion um deren Rang in der Pyramide des Kirchenrechtes.

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VIII. Das Verhältnis von Religion und Recht

 
1. Die katholische Kirche steht heute auch Ländern mit einer laizistischen Trennung von Kirche und Staat neutral gegenüber.

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2. Mutual contribution zwischen den beiden Systemen, dem religiösen und sozialen, bringt nach ihrer Vorstellung den größten Vorteil.

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3. Faktisch wird heute das Konkordat als Mittel der Regelung der Beziehung von katholischer Kirche und Staat bevorzugt, das heißt, dass der Dialog zwischen Religion und Recht schon jetzt in die strukturelle Kooperation mündet.

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Schluss

 
Am Schluss seien mir noch eine Frage, eine Bemerkung und ein Vorschlag erlaubt:

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I. Die Frage: Welche Konsequenzen hat die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen religiösen Rechtsordnungen, wenn Menschen miteinander kommunizieren? Beispielsweise wären hier die Fragen nach der Kirchenzugehörigkeit und deren Wechsel, dem Familien- und Eherecht, dem Abschluß und der Begleitung von religionsverschiedenen Ehen und dem Religionsunterricht zu nennen. Die christlichen Kirchen lösen hier entstehende Fragen heute auch durch Vereinbarungen untereinander, z.B. über die Feier von Mischehen. Müsste man nicht diese Praxis auch auf andere Religionsgemeinschaften ausdehnen, z. B. über eine gemeinsame Trauung jüdisch-christlicher Ehewerber.

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II. Die Bemerkung: Die Vermittlung tieferer Kenntnis der in Deutschland heute präsenten Religionen und deren Vergleich können dazu beitragen, in Zukunft das Verhältnis der Menschen untereinander und von Kirche, Staat und Gesellschaft besser gemeinsam zu gestalten. Zur Erlangung tieferer Kenntnis gehört aber auch die Vermittlung religiösen Rechts und des Vergleichs von Religionen durch ihr Recht in rechtswissenschaftlichen und theologischen Fakultäten.

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III. Der Vorschlag: Vorgeschlagen wird daher, der von mir herausgegebenen Internet-Zeitschrift www.nomokanon.de, eine Abteilung für religiöses Recht anzugliedern , um auf diese Weise dem Vergleich der Religionen durch Recht ein Forum im deutschsprechigen Raum zu geben, wie es in Italien durch die Zeitschrift "Daimon" bereits besteht.

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In www.nomokanon.de finden Sie auch die vollständige Fassung dieses heutigen Vortrages.

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1  Aus der Enzyklika "Immortale Dei": "Hierdurch haben Wir dargelegt, was die katholische Kirche in Bezug auf die Grundlegung und die Regierung der bürgerlichen Gesellschaft vorschreibt. Alle diese ihre Bestimmungen aber sprechen sich an sich keineswegs gegen irgendwelche der verschiedenen Formen des Staates aus: denn diejenigen, welche nichts enthalten, was der katholischen Lehre widerspricht, können bei weiser und gerechter Anwendung das Staatswesen im besten Zustand bewahren. Auch das ist an sich durchaus nicht zu tadeln, dass das Volk mehr oder weniger Anteil empfängt am öffentlichen Leben: dies kann zu gewissen Zeiten und infolge bestimmter gesetzlicher Bestimmungen nicht nur vorteilhaft für den Staat sein, sondern sogar zur Pflicht für die Bürger werden. Darum ist durchaus kein Anlas gegeben, die Kirche anzuklagen, als beweise sie zu wenig Milde und Nachgiebigkeit, oder als stehe sie der wahren und rechtmäßigen Freiheit feindlich gegenüber. Wenn die Kirche es auch nicht erlaubt, den verschiedenen fremden Religionsformen dasselbe Recht einzuräumen wie der wahren Religion, so ist es doch eine Tatsache, dass sie Regierungen nicht verurteilt, wenn diese wegen Erlangung großer staatlicher Vorteile oder um Übles zu verhindern, nach Herkommen und Gewohnheit es dulden, dass diese als Einzelne im Staate bestehen dürfen. Auch darüber pflegt die Kirche nachdrücklich zu wachen, dass niemand gegen seinen Willen zur Annahme des katholischen Glaubens genötigt wird, denn, so mahnt Augustinus in Weisheit, glauben kann der Mensch nur mit seinem (freien) Willen".