Staat und Kirche in England

Von Stefan Lunze

 

Dread sovereign, how much are we bound to heaven
In daily thanks, that gave us such a prince;
Not only good and wise but most religious;
One that in all obedience makes the church
The chief aim of his honour...

Text des Gardiner, Bischof von Winchester
in: William Shakespeare, The Life of King Henry the Eighth (1613)
5. Akt, 3. Szene

 

Der Autor möchte es nicht versäumen, seinen aufrichtigen Dank an den Rt. Rev. & Rt. Hon. Richard Chartres, Lordbischof von London, zum Ausdruck zu bringen, der sich während eines Berlin-Besuches im November 2001 Zeit für ein ausführliches Gespräch über diese Arbeit genommen hat. Auch wenn seine Thesen nicht unkritisiert in diese Arbeit übernommen werden konnten, so waren sie doch fruchtbare Impulse, haben nachhaltige Einblicke aus einer praktischen Perspektive ermöglicht und auf diese Weise - vielleicht nicht immer wissenschaftlich belegt - Eingang in diese Arbeit gefunden.

 

Inhalt

  1. I. Einleitung
  2. II. Überblick über den religionssoziologischen Kontext
  3. III. Historischer Abriss
  4. IV. Staatskirche im Vereinigten Königreich
    1. Vertretung in Gesetzgebungsorganen
    2. Gesetzgebung
    3. Diskussionen um den Status der Staatskirche
    4. Frauenordinierung
    5. Gottesdienstgemeinschaft
    6. Bischofsernennungen
  5. V. Andere Religionsgemeinschaften
  6. VI. Einige Problemfelder
    1. Schule
    2. Arbeitsrecht
    3. Andere Probleme
  7. VII. Schlussbemerkungen
  8. VIII. Literaturverzeichnis
 

 

I. Einleitung

Aus kontinentaleuropäischer Sicht scheint das Königshaus des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland vielleicht ebenso wie die historisch auf den britischen Inseln verwurzelte anglikanische Kirche ein Unikum des Landes. Wer versucht, beide zu verbinden, erinnert sich vielleicht an die Beerdigung von Prinzessin Diana oder die Eheschließung von Prinz Edward als Gelegenheiten, bei denen die Königin medienwirksam in Kirchen aufgetreten ist. Wenn die Kommentatoren dann erwähnten, dass die Monarchin zugleich weltliches Oberhaupt der Church of England sei, dann wirkte das wie eine weitere sonderbare Eigenheit des Inselvolkes. Tatsächlich konzentriert sich diese Arbeit in der Hauptsache auf eine Darstellung von Staat und Kirche in England, obwohl vergleichende Hinweise, die eine Einordnung in das staatliche Gefüge des Vereinigten Königreiches erleichtern mögen, nicht unterbleiben. Sie legt dabei einen Schwerpunkt auf den Status der Church of England als besonderem Charakteristikum und erhebt nicht den Anspruch, die Staat-Kirche-Beziehungen in England in ihrer Gesamtheit erschöpfend zu behandeln. Wenn in dieser Arbeit von Staatskirche gesprochen wird, so ist damit nicht ein Verständnis von Staatskirche gemeint, wie es in manchen nordischen Ländern auf dem Hintergrund der lutherischen Idee des christlichen Prinzen entwickelt wurde. Im Englischen wird für die Church of England und die Church of Scotland der Begriff der established church benutzt, der sich vom Ausdruck state church unterscheidet. Trotzdem verwendet diese Arbeit den Begriff der Staatskirche und folgt dabei den Übersetzungen einschlägiger Wörterbücher.1

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Natürlich bringt das Thema eine Berührung mit der Rolle des britischen Monarchen mit sich. Wer jedoch Episoden der Royals erwartet, wird enttäuscht werden, da das Thema diesbezüglich ziemlich unspektakulär ist. Wenn in Berichten des Europäischen Konsortiums für Staat-Kirche-Forschung britische Urteile kirchlicher Konsistorialgerichte erwähnt werden, die die Anbringung einer Gedenktafel für einen 1594 wegen Hochverrats hingerichteten römisch-katholischen Priester angesichts einer fehlenden posthumen Begnadigung oder die Verstreuung exhumierter Gebeine auf dem Lieblingsgrundstück des Verstorbenen ablehnen,2 dann erklärt das vielleicht ein wenig, warum das Verhältnis zwischen Staat und Kirche nicht unbedingt ein Thema besonderen Interesses sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Rechtswissenschaft ist. Darauf deutet auch die Konzentration der Veröffentlichungen im Thema auf nur wenige Autoren. Vielleicht sei in diesem Zusammenhang auch der Hinweis erlaubt, dass wichtige Teile des case law für das entsprechende Rechtsgebiet der vergangenen Jahre auf die regen Prozesstätigkeit eines einzelnen anglikanischen Geistlichen zurückzuführen ist.3

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In einem zunehmend säkularisierten Umfeld sind es denn auch eher öffentlichkeitswirksame Ereignisse, die einschlägige Diskussionen kathalysieren. So hatte die Trauerfeier von Prinzessin Diana und ihre fehlende Übereinstimmung mit den einschlägigen liturgischen Vorschriften der anglikanischen Kirche einen nicht unbedeutenden Einfluss auf die in darauffolgenden Jahren einsetzende Reform der Liturgie des Begräbnisses.4 Ohne zu sehr auf die bisweilen auch kurios anmutenden Details solcher Begebenheiten eingehen zu wollen, möchte diese Arbeit nach einem historischen Abriss einen Überblick über bestehenden staatskirchenrechtlichen Verhältnisse in England geben, auch auf Problemfelder eingehen, die in den vergangenen Jahren zutage getreten sind, und schließlich mit einigen Schlussfolgerungen in die Diskussion im Seminar einleiten.

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II. Überblick über den religionssoziologischen Kontext

Es lohnt sich, zunächst in Erinnerung zu rufen, dass im Vereinten Königreich eine Reihe unterschiedlicher Rechtssysteme mit jeweils eigenen historischen Wurzeln nebeneinander stehen, die alle zumindest in Teilen vom Parlament im Westminster Palace geregelt werden. Für diese Arbeit möge der Hinweis auf eine dreigliedrige Kategorisierung in das Rechtssystem von England und Wales, von Schottland und von Nordirland genügen.

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Wenn man den Blick auf die jeweiligen Entsprechungen auf der Ebene der anglikanischen Gemeinschaft lenkt, dann kommt man zu einer folgenden Übersicht:5

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die englische Staatskirche, die Church of England (44 Diözesen in 2 Kirchenprovinzen), deren weltliches Oberhaupt der britische Monarch ist;

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die schottische Staatskirche, die Church of Scotland (7 Diözesen), wobei der Monarch in dieser presbytherisch reformierten Konfession nur Mitglied ist;

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jeweils die Church in Wales (6 Diözesen) und die ganz Irland umfassende Church of Ireland (10 Diözesen), die ihren Status als Staatskirche inzwischen verloren haben.

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Im Vereinigten Königreich hatte die anglikanischen Gemeinschaft 1998 rund 1,6 Mio. aktive Mitglieder. Für die übrigen Kirchen und Religionen ergibt sich in etwa folgende Verteilung:

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Graphik 1:
Aktive Religionsmitgliedschaft in Großbritannien 1998 in Mio.
Quelle: Office for National Statistics, Britain 2001, S. 235.

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Im britischen Verfassungsrecht wird die Religionsfreiheit als Grundrecht unter dem Common Law des Vereinigten Königreichs betrachtet. In der Rechtsprechung findet dies Ausdruck im Prinzip der Neutralität des Staates in religiösen Angelegenheiten, dessen konkrete Ausgestaltung noch näher betrachtet werden soll.6 Darüber hinaus anerkennt der Staat Gewissensfreiheit in Religionsangelegenheiten.7

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III. Historischer Abriss

Die vorreformatorische Kirche in England hatte sich seit dem Beginn der Christianisierung der britischen Inseln nach der Ankunft des heiligen Augustinus 596 eine gewisse Unabhängigkeit von Rom bewahrt. Dies fand seinen besonderen Ausdruck im partikularen Kirchenrecht, das die Convocations von Canterbury und York erließen. Beispiel hierfür ist die Privatbeichte, die sich später auch auf dem Kontinent als Regel durchsetzte.8 Die Convocations sind in der Gestalt der Generalsynode der Church of England noch heute lebendig.

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Auch auf dem Hintergrund der Weigerung des Papstes, seine kinderlose Ehe mit Katharina von Aragon für nichtig zu erklären, trennte Henry VIII. (1509-1547) die englische Kirche vom Primat des Papstes und verfügte im Act of Supremacy von 1534 die königliche Herrschaft über die Church of England. Der Clergy Act desselben Jahres machte die Gültigkeit von Beschlüssen der Convocations von der Zustimmung des Königs abhängig. Zehn Jahre später exkommuniziert Papst Paul III. den König, wodurch der endgültige Abfall von Rom markiert wird.

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Diese erste Phase der englischen Reformation war eher politisch motiviert.9 Ihre Durchsetzung gegen noch vorhandene katholische Tendenzen im Lande wurde von zwei Seiten angegangen: Zum einen wurden in das Land einreisende Priester ebenso wie diejenigen, die im Land Sakramente spendeten, mit dem Tode bedroht. Zum anderen belegte man Gläubige, die in ihren staatskirchlichen Gemeinden fehlten, mit rechtlichen und sozialen Sanktionen.10 Die Annahme des reformierten Glaubens war der Loyalität an den König gleichgestellt, Disloyalität und Häresie im aufkommenden Nationalstaat begrifflich austauschbar.11 Als Theoretiker entwickelten William of Ockham und sein Schüler Thomas Comwell eine entsprechende, den Primat des Monarchen unterstreichende Lehre.12

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Mit Edward VI. (1547-1553) schlug die Church of England den Weg einer zunehmend protestantischen Theologie ein. Das katholische Zwischenspiel der Königin Mary ab 1553 wurde schon 1558 wieder durch die Einigung unter Elisabeth beendet. Fortan betrachtete sich die klassische anglikanische Theologie konzeptionell sowohl als katholisch als auch als reformiert.

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Die Reformation in Schottland geht auf das Jahr 1560 zurück. 1592 erließ das schottische Parlament Garantien für die Freiheit der Kirche und die presbyteranische Regierungsform. Während der fast drei Jahrhunderte andauernden Suspendierung des schottischen Parlaments nach der Union mit England 1707 war die jährliche Generalversammlung der Church of Scotland, auf der der Monarch durch einen Lord High Commissioner repräsentiert wird, die wichtigste Kundgebung schottischen Nationalgefühls.13

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Die von englischer Vorherrschaft in Irland eingerichtete anglikanische Church of Ireland blieb immer eine Minderheit, während die Mehrheit der Iren in Treue zu Rom hielt. 1871 verlor die Church of Ireland ihren Charakter als Staatskirche.14 In Nordirland konnte sich unter schottischen Siedlern die Presbyterian Church of Ireland halten, was bis heute Auswirkungen auf den Konflikt in der Region hat.

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Nach ihrer Verfolgung erließ Britannien im ausgehenden 18. Jahrhundert eine Toleranzgesetzgebung bezüglich der Katholiken, so dass römische Priester vom französischen Festland nach der Revolution Asyl in England fanden.15 Aber erst nach dem Catholic Relief Act 1829 und der weiteren Entwicklung der katholischen Emanzipation, deren Ausdruck auch das Oxford Movement (John Henry Newman) war, konnte der Heilige Stuhl wieder effektiv eine Struktur in Großbritannien einrichten,16 obgleich katholische Würdenträger bis heute im protokollarischen Rang ihrer anglikanischen Amtsbrüder nicht gleichgestellt sind. Die katholische Kirche ist in England und Wales in 5 Erzdiözesen und 17 Diözesen gegliedert.17 Inzwischen unterhält das Vereinigte Königreich reguläre diplomatische Beziehungen mit dem Heiligen Stuhl, der in London durch einen Pro-Nuntius vertreten wird. Allerdings ist im Königreich noch immer von der Thronfolge ausgeschlossen, wer zum katholischen Glauben konvertiert oder einen katholischen Partner ehelicht.18

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IV. Staatskirche im Vereinigten Königreich

Die Church of England ist als Staatskirche Bestandteil des britischen Staates. Durch diese Integration ist eine vertragsmäßige Regelung der Verhältnisse zwischen Staat und Staatskirche wie etwa in einem Konkordat nicht denkbar.19 Vielmehr regelte der Staat ab dem 16. bis Anfang des 20. Jahrhunderts auch die Angelegenheiten der Staatskirche im Wege der Gesetzgebung. Dies betrifft sowohl den Bereich der Regelungen zwischen Staat und Kirche als auch rein kirchliche, kanonische Gesetze, die beide unter dem Begriff des ecclesiastical law zusammengefasst werden. Das Recht der Church of England unter Einschluss seiner allein kanonische Regelungen ist als ecclesiastical common law of England integraler Bestandteil der englischen Rechtsordnung. Dies gilt sogar für vorreformatorisches Kirchenrecht, sofern es auch nach der Reformation in England anerkannt und befolgt wurde.20 Die kirchlichen Konsistorialgerichte sind Teil der englischen Gerichtsordnung, tagen daher auch öffentlich und haben neben einer vermögensrechtlichen Jurisdiktion eine Strafgerichtsbarkeit über den anglikanischen Klerus.21 Bei seiner Krönung schwört der Monarch verschiedene Eide zum Schutz der Rechte der Church of England und übernimmt damit die Rolle des Supreme Governor der Staatskirche und Defender of the Faith.22 Jeder Getaufte mit Wohnsitz in England kann sich zum Mitglied der Church of England erklären, in das Wahlregister der Staatskirche eintragen lassen und auf diese Weise am Synodalregime der Kirche mitwirken.23

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1. Vertretung in Gesetzgebungsorganen

24 Bischöfe und die beiden Erzbischöfe der Church of England sind von Amts wegen Mitglieder des House of Lords, dem Oberhaus des britischen Parlamentes.24 Diese Lord Spirituals haben kein Stimmrecht bei Wahlen für das House of Commons, dem Unterhaus des britischen Parlamentes.25 Sie sind die einzigen Lords, die mit dem Erreichen des 70. Lebensjahres ihren Sitz verlieren.26 Die Lordbischöfe sitzen im Plenarsaal der Kammer auf Bänken dicht am Thron und immer auf der Seite der Regierung. In der Debatte um eine Reform des House of Lords, die 1999 vorläufig in der Verkleinerung der Anzahl der erblichen Mitgliedschaften gipfelte, wurde auch die Präsenz der Lordbischöfe thematisiert. Die Church of England setzte sich in ihrer Stellungnahme The Role of Bishops in the Second Chamber massiv für den Bestand der Mitgliedschaften ein27 und wiederholte den Anspruch auf 26 Sitze im Oberhaus auch kürzlich auf der Synode im Juli 2001. Der Abschlussbericht der staatlichen Reformkommission widmet dem Thema ein eigenes Kapitel und empfiehlt denn auch eine Beibehaltung der Präsenz der Lordbischöfe, gibt aber auch sehr detaillierte Empfehlungen zu einer erweiterten Repräsentation der anderen christlichen Konfessionen und nicht-christlichen Religionsgemeinschaften.28 Zuletzt ist der Bischof von Chester, Dr. Peter R. Forster, am 14. November 2001 dem Oberhaus vorgestellt und damit als Lordbischof eingeführt worden.

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Die Church of England hat darüber hinaus einen besonderen Status auf der Isle of Man, wo der Bischof von Sodor und Man Mitglied der Gesetzgebungskörperschaft ist, und den beiden Bailiwickks Guernsey und Jersey, die allerdings alle nicht Teil des Vereinigten Königreichs sind.

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2. Gesetzgebung

Durch den Church of England Assembly Act ("Enabling Act") von 1919 ergänzt um die Synodical Government Measure von 1969 wurde die Gesetzgebungskompetenz für das ecclesiastical law nunmehr auf die Generalsynode der Church of England übertragen. Nur sie hat die Kompetenz, Gesetze zu verabschieden, die der Staat als ecclesiastical law anerkennt. Die Synode besteht aus drei Kammern (Bischöfe, Kleriker, Laien), wobei die Kammern der Bischöfe und Kleriker die alten Convocations von Canterbury und York vereinigen.29 Vorschläge einer Kommission, die darauf ausgerichtet waren, die Synodalstruktur von ihren historischen Wurzeln zu lösen und durch Verkleinerung und Straffung zu reformieren, stießen in der Synode auf heftigen Widerstand und blieben weitgehend unverwirklicht.30 Statt dessen wurde die bestehende Struktur um ein Archbishops' Council ergänzt, dessen Kompetenzen im Bereich der strategischen Politikplanung die Generalsynode entlasten sollen.31 Alle Beschlüsse der Synode bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Zustimmung aller drei Kammern, wodurch den Laien volle Gesetzgebungsgewalt zukommt. Die Synode kann durch Measures und kanonisches Recht alle Angelegenheiten regeln, die die Church of England betreffen. Ihre Measures erhalten dieselbe Gesetzeskraft wie Parlamentsgesetze, wenn beide Kammern des Parlamentes in Westminster zustimmen und hierauf der Royal Assent erfolgt.32 Auf diesem Wege können auch bestehende gesetzliche Regelungen verändert oder widerrufen werden. Das Parlament hat dabei allerdings kein Recht, Beschlüsse der Generalsynode zu verändern. Der Versuch im Zuge der Gesetzgebung zur unmittelbaren Anwendbarkeit der EMRK in Großbritannien, dem Parlament ein Ergänzungsrecht zuzubilligen, stieß auf Widerstand in der Generalsynode und wurde daraufhin wieder fallen gelassen.33 Bevor Measures in den beiden Kammern des Parlamentes zur Abstimmung gelangen, werden sie im Ecclesiastical Committee beraten, das nach einem eigenen Statut mit einer gleichen Zahl von Mitgliedern des Ober- und Unterhauses besetzt ist.34 Bereits Signale des Ecclesiastical Committee genügen, um die Generalsynode zu einer Anpassung ihrer Measures zu bewegen, so jüngst geschehen bei der Churchwardens Measure35 und der National Institutions Measure.36 Dies ist insofern problematisch, als das angesichts des geringen öffentlichen Interesses an den Vorlagen der Synode meist nur Abgeordnete mit entsprechenden persönlichen Vorlieben in diesem Gremium vertreten sind37, auf diese Weise in der Beratungsphase die tatsächlichen Abstimmungsverhältnisse nicht korrekt abgebildet sind und so die Abstimmungsergebnisse im Ausschuss und im Plenum erheblich voneinander abweichen können. Letztendlich weist das Parlament in diesem Verfahren höchst selten synodale Beschlüsse zu Measures zurück.38 Auch wenn in dem Verfahren für die Measures ein Vertragsgedanke durch die notwendige Zustimmung sowohl von der Synode als auch vom Parlament mit hineinspielt, erscheint bemerkenswert, dass dieses Verfahren in einer gesetzlichen Regelung des Parlamentes, dem Enabling Act, seinen Ursprung findet.

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Kanonisches Recht als Kirchenrecht, das allein innerkirchliche Regelungskraft entfaltet, wird durch die Synode ohne Mitwirkung des Parlamentes gestaltet. Solche Gesetze bedürfen jedoch zur Promulgierung auch des Royal Assent, wodurch die Rolle des Monarchen als Supreme Governor zum Ausdruck kommt. Rechtlich wird dem Monarchen nur eine Prüfungskompetenz bezüglich der Übereinstimmung mit dem übrigen englischen Recht zugebilligt, die allerdings kaum zum Tragen kommt.

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3. Diskussionen um den Status der Staatskirche

Initiativen zu einer Beendigung der Verflechtungen von Staat und Staatskirche durch Abschaffung des Staatskirchenstatus ("disestablisment") sowohl durch Mitglieder des anglikanischen Episkopats als auch durch liberale parlamentarische Kräfte waren zunächst nur singulär und konnten noch nicht einmal den Einstieg in eine breitere Diskussion initiieren.39 Selbst ein öffentlicher Beitrag des britischen Thronfolgers Prinz Charles, der sich kritisch über die Rolle des Monarchen in der Staatskirche äußerte,40 wurde später von diesem dahingehend korrigiert, dass er damit keinesfalls einer Abschaffung der Staatskirche oder einer Veränderung des gegenwärtigen verfassungsrechtlichen Gefüges das Wort reden wollte.41 Nicht einmal die New Labour-Regierung bezog das Verhältnis zwischen Staat und Staatskirche in ihre umfangreiche verfassungsrechtliche Reformagenda ein.42 Im Gegenteil scheint es bemerkenswert, dass Premierminister Tony Blair unter den Regierungschefs der jüngeren Vergangenheit derjenige ist, der seine religiöse Affiliierung öffentlich deutlich werden lässt, - obgleich seine Frau katholisch ist.43

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4. Frauenordinierung

Es war erst die gerichtliche Überprüfung der gesetzlichen Regelungen über die Staatskirche, die die Debatte Mitte der neunziger Jahre auf dieses Thema lenkte: Im Zuge ihrer Gesetzgebung zur zukünftig erlaubten Ordinierung von Frauen in das Priestertum verabschiedete die Generalsynode auch eine Measure zur Abänderung des bestehenden ecclesiastical law. Diese Regelung bedurfte der Zustimmung des Parlamentes, es gab viermonatige Anhörungen vor dem ecclesiastical committee des Parlamentes und sowohl das Unter- wie das Oberhaus stimmten mit deutlichen Mehrheiten für eine Zustimmung zu der neuen Gesetzgebung.44 Die Gegner der Frauenordinierung brachten den Fall vor das High Court und argumentierten, dass der Enabling Act nicht zu einer fundamentalen Änderung von Gewohnheit, Praxis oder Doktrin ermächtigen würde. Das High Court schloss sich dieser restriktiven Auslegung des Gesetzes von 1919 nicht an, sondern hielt den Gegenstand der Frauenordinierung als von der Kompetenz, ihre eigenen Angelegenheiten zu regeln und diese Regelungen dem Parlament vorzulegen, gedeckt.45 Auch spätere obergerichtliche Entscheidungen bestätigten die Rechtmäßigkeit des gewählten Verfahrens.46 So konnten die entsprechenden kanonischen Regelungen am 22. Februar 1994 in Kraft treten und der Bischof von Bristol weihte am 12. März desselben Jahres 32 Diakoninnen zu Priesterinnen.

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5. Gottesdienstgemeinschaft

1996 waren britische Gerichte schließlich noch einmal in einer Reihe von Prozessen mit der Überprüfung von Gesetzgebung im Gebiet des ecclesiastical law beschäftigt: Die Overseas and Other Clergy (Ministry and Ordination) Measure von 1967 überträgt dem Erzbischof von Canterbury die Kompetenz zur Anerkennung der Gültigkeit von Weihen anderer Konfessionen. Auf dieser gesetzlichen Grundlage stimmte er der Parvoo-Erklärung zu, in der die anglikanischen Kirchen der britischen Inseln unter anderem die Weihen von Geistlichen der meisten lutherischen Kirchen der nordischen und baltischen Länder anerkannten und dadurch eine Gottesdienstgemeinschaft erlaubten. Die Kläger führten an, dass der Erzbischof nicht auf diese Weise hätte ermächtigt werden dürfen, da einige der betroffenen lutherischen Kirchen nicht in apostolischer Sukkzession ständen. Diese wiederum sei aber nach der Lehre der Church of England Voraussetzung für die Anerkennung der Weihen und Gottesdienstgemeinschaft. Die Gerichte wiederholten in diesen Fällen ihre bereits im Zusammenhang mit der Frauenordinierung aufgestellte Doktrin, dass grundsätzlich von der Kompetenz der Generalsynode für die jeweils erlassene Measure auszugehen sei und einer inhaltlichen Überprüfung durch die Gerichte enge Grenzen gezogen seien.47

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6. Bischofsernennungen

Thema öffentlicher Debatte ist auch das Verfahren der Bischofsernennungen. Gegenwärtig ernennt der Monarch nach Beratung mit dem Premierminister die Erzbischöfe und Diözesanbischöfe der Church of England. 48 Nach einer Vereinbarung der Regierung mit Kirchenführern aus dem Jahr 1977 beschränkt sich diese Wahl auf zwei Vorschläge der Crown Appointments Commission, die aus Klerikern und Laien zusammengesetzt ist. Der Premierminister entscheidet dann, der Monarch ernennt. Initiativen aus den 90er Jahren, nach denen die Entscheidung des Premierministers durch die Entscheidung der Erzbischöfe hätte übernommen werden sollen, konnten sich nicht durchsetzen,49 wobei auch auf staatsdoktrinäre Erwägungen verwiesen wurde: Da der Monarch nicht als Privatperson, sondern als Staatsoberhaupt Supreme Govenor der Church of England sei, könne die verfassungsrechtliche Verantwortlichkeit der Regierung für die Handlungen des Staatsoberhauptes im Fall der Bischofsernennungen nicht übergangen werden.50 Angeheizt wurde die Debatte noch einmal, nachdem öffentlich bekannt wurde, dass Premierminister Blair 1997 bei der Besetzung der Vakanz in Liverpool zum ersten Mal von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hatte, beide Vorschläge der Kommission abzulehnen und sie um weitere Vorschläge zu bitten.51 Die Generalsynode setzte im darauffolgenden Jahr eine Kommission zur Eruierung von Reformmöglichkeiten ein. Bezeichnenderweise legte diese Kommission im Juli 2001 Empfehlungen zur Transparenz des Meinungsfindungsprozeses innerhalb der Crown Appointments Commission vor, nicht aber zur Rolle des Staates bei der letztendlichen Entscheidung.52

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V. Andere Religionsgemeinschaften

Andere Kirchen und religiösen Gemeinschaften haben generell keinen weitergehenden Status als andere Vereine. Ihr kanonisches oder Innenrecht hat den Rang eines Vertrages zwischen den Mitgliedern. So hat auch das ehemalige ecclesiastical law der anglikanischen Diözesen in Wales, die 1920 aus der Church of England ausgegliedert wurden und seither die Church in Wales bilden, die nicht mehr Staatskirche ist, nur den rechtlichen Charakter eines Quasi-Vertrages.53 Das Vermögen von Religionsgemeinschaften wird in der Regel durch das angelsächsische Rechtsinstrument des trust gefasst und in einigen Fällen durch einen Private Act of Parliament ergänzt.54

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Das britische Recht kennt keine förmliche Anerkennung als Religionsgemeinschaft durch den Staat oder gar einen öffentlich-rechtlichen Status für Kirchen.55 Am weitesten geht die Registrierung von Gottesdienstorten.56 In England müssen nicht-anglikanische religiöse Eheschließungen an einem registrierten Gottesdienstort nach einer gesetzlich bestimmten und auf Initiative eines Lord Spiritual novellierten57 Eheschließungsform stattfinden, damit die Eheschließung wiederum nach der Registrierung durch den Assistenten zivile Wirkung entfaltet. Aus der jüngeren Rechtssprechung kristallisiert sich die Meinung heraus, dass Gottesdienst eine öffentliche Versammlung zum Dienst an einem Gott oder höheren Wesen meint. Unterweisung in einer säkularen Philosophie würde diesem Erfordernis nicht gerecht, weshalb die Church of Scientology oder humanistische Verbände keine Gottesdienstorte registrieren können.58

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VI. Einige Problemfelder

1. Schule

Seit der Einrichtung eines staatlichen Schulwesens wird in Schulen, die vom Staat unterhalten werden, ein nicht-konfessioneller Religionsunterricht gegeben.59 Das Verfahren über die Bestimmung des Lehrplans für diese staatliche Religionslehre ist gesetzlich geregelt.60 Der Lehrplan, der christlich orientiert sein muss, aber nicht dem Bekenntnis nur einer einzelnen Konfession entsprechen darf,61 muss die Zustimmung eines regionalen Standing Advisory Council on Religious Education (Sacre) erhalten. Jedes Sacre besteht aus vier Ausschüssen, die alle ihre Zustimmung erteilen müssen. Diese Ausschüsse vertreten jeweils

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die Church of England;

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die christlichen und anderen religiösen Gemeinschaften, die die wichtigsten religiösen Traditionen der Region repräsentieren;

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die Verbände der Lehrer;

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die örtliche Schulbehörde.

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Auf diese Weise hat die Church of England ein Vetorecht, kann allerdings auch kein Curriculum durchsetzen, das für die anderen Gruppen inakzeptabel ist. Religionslehrer werden wie alle anderen Lehrer ernannt, allerdings darf kein Lehrer zum Religionsunterricht gezwungen werden.62 Eltern können ihre Kinder vom Religionsunterricht abmelden.63 Gesetzlich vorgeschrieben ist ein obligatorisches Schulgebet christlicher Orientierung, obgleich das örtliche Sacre hiervon Ausnahmen machen kann.64

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Kirchen steht es frei, eigene unabhängige Schulen einzurichten, an denen es konfessionelles Schulgebet und konfessionellen Religionsunterricht gibt. Der Staat räumt den Kirchen auch ausdrücklich eine eigene Rolle ihm Bildungssektor ein.65 Eine Reihe von Schulen sind in Trägerschaft von Kirchen und werden vom Staat refinanziert. Der Einfluss der kirchlichen Träger ist hierbei von ihrem Eigenanteil zur Finanzierung der Schule abhängig.66 Die Church of England unterhält rd. 4.500 Grund- und 200 Oberschulen, an denen 760.000 Grund- und 146.000 Oberschüler unterrichtet werden. Die Kirche übernimmt damit die Ausbildung von etwa einem Viertel aller Grundschüler.67

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2. Arbeitsrecht

Seit den 70er Jahren ist in Großbritannien eine umfangreiche Anti-Diskriminierungsgesetzgebung in Kraft getreten.68 Dieses Recht findet allerdings nur für Angestellte (employees) Anwendung, Amtsträger (office-holders) werden nicht als Angestellte betrachtet. Zur Bestimmung des Angestellten-Kriteriums zieht die Rechtsprechung neben der Gestaltung des Arbeitsvertrages eine Reihe von Gesichtpunkten aus dem konkreten Arbeitsverhältnis (Art der Auswahl, der Bezahlung, Arbeitsorganisation) heran.69 Dabei wird deutlich, dass der größte Teil des Kirchenpersonals sowohl der Church of England als auch anderer Kirchen aus dem Schutzbereich der Gesetzgebung herausfallen. Dieses Rechtsverständnis wurde auch in jüngeren Entscheidungen aufrecht erhalten, unter anderem mit dem Hinweis darauf, dass das Amtsträger-Verständnis und insbesondere der Akt der Übertragung eines Amtes in der Regel einen vertraglichen Bindewillen ausschlösse.70 Dieses Ergebnis scheint auch sachgerecht, da Amtsträgern andere Schutzmöglichkeiten offen stehen. Wenn sich sie die Subordinationspflicht nicht aus einem Arbeitsvertrag, sondern aus dem kanonischen Recht ergibt, so sieht dieses innerkirchliche Recht in der Regel auch eigene Rechtsschutzmechanismen, beispielsweise vor einem Konsistorium als kirchlichem Gericht vor. Mit der Pfarrei ist in der Church of England auch ein Beneficium verbunden, woraus dem Amtsinhaber ein Rechtstitel auf das Amt, seinen Unterhalt und eine Dienstwohnung erwächst.71 In anderen Religionsgemeinschaften, vor allem im nicht-christlichen Bereich, in denen solche alternativen Rechtsschutzmechanismen nicht existieren, wird das Angestellten-Kriterium auch meist bejaht.72

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3. Andere Probleme

Die Implementierung der Europäischen Menschenrechtskonvention in die britische Rechtsordnung, um eine unmittelbare Anwendung vor nationalen Gerichten zu ermöglichen, rief bei Kirchenvertretern Bedenken hervor.73 Es wurde befürchtet, dass auf diese Weise das fiskale Handeln der Church of England z. B. bei Eheschließungen oder im Schulbereich zu für die Kirche inakzeptablen Konsequenzen wie die Eheschließung von Homosexuellen oder die Weiterbeschäftigung von Lehrern, die in ihrer Lebensweise offensichtlich im Widerspruch zur Lehre der Kirche stehen, führen könnte. Entsprechende Ergänzungsanträge fanden keine Mehrheit im Unterhaus, so dass die Vorbehalte der Kirche nicht gänzlich zerstreut werden konnten.

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In Großbritannien ist die Veröffentlichung blasphemischen Materials eine Straftat. Blasphemisch ist Material, das unter Außerachtlassung vertretbarer Kontroverse die Wahrheit der christlichen Religion oder die Existenz Gottes angreift.74 Strafverfolgung ist höchst selten und umstritten.75 Problematisch sind insbesondere die Rechtsprechung, nach der der Vorsatz zur Veröffentlichung des objektiv blasphemischen Materials zur Erfüllung des Straftatbestandes genügt, und kein Vorsatz hinsichtlich des blasphemischen Angriffs notwendig ist.76 Darüber hinaus schützt die Blasphemie-Gesetzgebung nur den christlichen Glauben. Novellierungsinitiativen, die auch von der britischen Law Commission unterstützt werden, hatten bisher keinen Erfolg.77

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Finanziell sind Kirchen und religiöse Gemeinschaften im Vereinigten Königreich nicht besser gestellt als andere gemeinnützige Einrichtungen. Sie genießen einige Steuervorteile, beispielsweise bei der Schenkungssteuer. Weitergehende Vorstöße der Kirchen vor allem im Bereich einer Mehrwertsteuerbefreiung fanden keine Unterstützung der Regierung.78 Sonstige direkte Subventionen, etwa Beihilfen für Personalkosten, gibt es nicht - auch nicht für die Staatskirche.79 Eine Ausnahme bildet hierbei das Personal verschiedener Religionen, die der Staat für die Seelsorge bei den Streitkräften, im Gesundheitsdienst und in den Gefängnisse einstellt und bezahlt, deren pastorale Verantwortung aber bei den Religionsgemeinschaften liegt. An der Verwaltung des Vermögens der Church of England, die übrigens keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt,80 sind darüber hinaus Vertreter des Staates beteiligt, was auch nach der durch einen Finanzskandal ausgelösten strukturellen Neuordnung der Verwaltung beibehalten wurde.81 Für Dienste, zu denen die Church of England gesetzlich verpflichtet ist (Einsegnungen von Ehen, Beerdigungen), kann die Kirche von den Parteien, aber nicht vom Staat eine Gebühr erheben.82 Der einzige direkte finanzielle Betrag des Staates liegt in seiner Beteiligung an der Baulast zum Erhalt historischer Kirchengebäude durch den Churches Conservation Trust.83

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VII. Schlussbemerkungen

Der britische Staat gewährt einer Staatskirche Privilegien und nimmt ihr gegenüber Kontrollkompetenz in Anspruch.84 Beides ist in dieser Arbeit näher betrachtet worden und soll nun den Versuch einer Bewertung erfahren.

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Zunächst ist festzuhalten, dass dem Verhältnis des britischen Staates zu englischen Staatskirche im Kontext seiner Beziehungen zu den anderen Religionen keine brandaktuelle Bedeutung zukommt. Die Diskussion über den Status der Staatskirche scheint auch deshalb vermieden zu werden, weil damit auch eine Debatte über die Rolle der Monarchie "mit unabsehbaren Konsequenzen"85 verbunden wäre, man eine Verbreiterung der Thematik offensichtlich scheut. Statt dessen hält man das Bestehenden aufrecht.

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Dies kann wohl auch mit dem Festhalten des Staates an einem christlich-abendländischen Gesellschaftsbild in Verbindung gebracht werden. Auch wenn die ungeschriebene Verfassung Religionsfreiheit garantiert, gerät der Staat in ein Spannungsverhältnis zum Gebot seiner weltanschaulichen Neutralität,86 wenn er Gottesdienstdefinitionen oder die von ihm verordnete Religionslehre deutlich an christlichen Vorstellungen orientiert. Denn auch wenn diese Arbeit eine Staatskirchenproblematik vertieft, so soll das nicht davon ablenken, dass England und Großbritannien die verbliebenen Teile eines Empire sind, deren Bevölkerung sich auch nicht unwesentlich aus Angehörigen nicht-christlicher Religionen zusammensetzt. Muslime, Sikhs und Hindus werden im Bildungswesen, auf dem Arbeitsmarkt und in den Medien, aber auch bei der Behandlung durch öffentliche Behörden diskriminiert.87 Ihre Integration in die britische Gesellschaft scheint durch die staatliche Religionspolitik zumindest nicht erleichtert.

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Wie ist das Verhältnis zwischen Staat und Staatskirche zu bewerten, wenn man über diesen Gleichheitsaspekt hinausgeht? Der Erzbischof von Canterbury spricht von den Chancen, die sich aus dem Status als Staatskirche ergäben, durch die Verflechtung von Staat und Kirche ein christlichen Einfluss auf den Staat auszuüben.88 Natürlich spielt hier die historische Entwicklung mit hinein, aber auch die spezifische Situation im Land, in der sich die christlichen Konfessionen in ihren Positionen sehr nahe sind, sich die inhaltliche Unterschiede auch in der Staatskirche widerspiegeln und diese Staatskirche auch nicht den Anspruch eines religiösen Monopols erhebt. Trotzdem stellt sich nicht nur die Frage nach der Rechtfertigung eines solchen privilegierten Einflusses in einer pluralistischen Gesellschaft. Nicht gänzlich unbegründet ist auch die Überlegung, ob hier nicht der Erhalt einer Form den Verlust an Substanz kaschiert, der schon dadurch deutlich wird, dass noch nicht einmal ein Zehntel der möglichen Mitglieder der Church of England auch als registrierte Wähler ein Mindestmaß an Aktivität zutage legen.89 Mit Blick auf den Auftrag einer christlichen Kirche in einer zunehmend säkularen Umwelt und als Kraft in einer vielgestaltigen Zivilgesellschaft scheint die Konservierung in einem Status auch nicht erstrebenswert.

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Seit der katholischen Emanzipation in England in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis heute hat es eine ganze Reihe von Veränderungen im Verhältnis zwischen Staat und Kirche in England gegeben, ohne das dies mit der erforderlichen Klarheit nach außen deutlich wurde. Nun ist Vieles in der praktischen Realität anders, als es scheint. De iure kann der britische Staat erheblich mehr Einfluss auf die Geschicke der etablierten Kirche nehmen, als er es de facto tut. Auch suggeriert der Status der Etablierung eine größere Nähe zum Staat, als sie tatsächlich besteht. Von besonderer Bedeutung scheint hier die weitgehende finanzielle Unabhängigkeit der Staatskirche vom Staat, die in einem konzeptionellen Gegensatz zu den finanziellen Verflechtungen in manchen kontinentalen Rechtsordnungen steht. Der Unterschied zwischen rechtlich Möglichem und tatsächlich Praktiziertem resultiert aber in Unklarheit, die im Widerspruch zum Transparenzgebot in einem von Pluralismus und Demokratie geprägten modernen Staat steht. Natürlich kommt es dem Staat zu, einen Rahmen für die Betätigung von Kirchen und Religionsgemeinschaften zu schaffen, den eben diese aus der ihnen eigenen Autonomie heraus ausfüllen. Das Erfordernis einer besonderen staatlichen Zustimmung zu Entscheidungen einer Kirche, nämlich der Staatskirche, die auch deren Glaubenslehre betreffen können, wird in der Rechtfertigung ihrer Legitimität jedoch auf ähnliche Schwierigkeiten stoßen wie der Umstand, dass Geistliche allein wegen ihres kirchlichen Amtes Mitglied einer Gesetzgebungskörperschaft sind, egal wie beschränkt die Kompetenzen der entsprechenden Kammer sind. Und diese Aspekte haben Substanz und sind nicht nur "pittoreske Aspekte einer ungeschriebenen Verfassung".90 Das wird auch deutlich, wenn es gerade dieses Legitimationsdefizit war, das von der Freiheitsbewegung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts thematisiert wurde, als angesichts der Emanzipierung der anderen christlichen Kirchen nach Gründen für eine Privilegierung der Staatskirche gefragt wurde. Und es war denn auch dieser Druck, der schließlich zur Disetablierung der Church of England in Wales führte.91 Von dieser Entwicklung wird übrigens heute angenommen, dass sie "keine erkennbar negativen Auswirkungen" mit sich brachte.92 Eine befriedigende Antwort auf diese Legitimationsfrage ist heute nicht erkennbar.

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Natürlich bietet ein solches strukturelles Gefüge auch Chancen: Das Zustimmungserfordernis durch eine säkulare Instanz verhindert eine Klerikalisierung, die unter Umständen zu Ergebnissen führt, die in einer offenen Diskrepanz zu sozialen Entwicklungen steht, wie es unter Umständen in anderen Konfessionen geschieht. Auch sichert die Einrichtung einer Staatskirche der Religion einen Platz in der Öffentlichkeit. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass Kirchen und Religionsgemeinschaften angesichts ihres allumfassenden Ansatzes und ihres sinnstiftenden Charakters eine besondere Rolle in einer lebendigen Zivilgesellschaft zukommt. Und doch bleibt es gerade auch mit Hinweis auf kontinentale Rechtsordnungen und die Ergebnisse, zu denen man dort gelangt, fraglich, ob diese Vorteile nicht auch anders zu erreichen sind als durch ein strukturelles Gefüge, das - wie bereits unterstrichen - mit nicht unbedeutenden Legitimitätsschwierigkeiten zu kämpfen hat. Es scheint mir eine viel größere, dabei aber auch viel befriedigendere Herausforderung an Religion und ihre Glaubwürdigkeit, wenn ihre bisweilen kritische Stimme im gesellschaftlichen Diskurs nicht durch ihre enge Verflechtung mit dem Staat, sondern ob ihrer Kompetenz in der Sache und ihrer daraus resultierenden überzeugenden Argumentation Gehör findet.

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VIII. Literaturverzeichnis

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Alle Angaben zu Webseiten aus dem World Wide Web des Internets beziehen sich auf den 18. November 2001.

 

 

1 Messinger, Heinz, Langenscheidts Großes Schulwörterbuch Englisch-Deutsch, S. 367.

2 Nachweise bei: McClean, David, State and Church in Britain 1995, S. 131.

3 S. auch infra, Fußnote 46.

4 McClean, David, Church and State in Britain 1997, S. 136.

5 McClean, David, State and Church in the United Kingdom 1994, S. 307.

6 Hill, Mark, Church Autonomy in the United Kingdom, S. 5.

7 Halsbury's Laws of England, Bd. 14, Abschnitt 339.

8 Brundage, James, Medieval Canon Law, S. 24.

9 McClean, David, State and Church in the United Kingdom 1994, S. 310.

10 Woodruff, Douglas, Church and State in History, S. 59.

11 Watkin, Thomas Glyn, Church and State in a changing world, S. 87.

12 Woodruff, Douglas, Church and State in History, S. 44.

13 McClean, David, State and Church in the United Kingdom 1994, S. 311.

14 Sachs, William, The Transformation of Anglicanism, S. 209.

15 Woodruff, Douglas, Church and State in History, S. 68.

16 Gerard, John & d'Alton, E.A. Roman Catholic Relief Bill in England, (http://www.newadvent.org/cathen/13123a.htm).

17 McClean, David, State and Church in the United Kingdom 1994, S. 310.

18 McClean, David, Marriage in England, S. 197.

19 McClean, David, State and Church in the United Kingdom 1994, S. 311.

20 Bishop of Exeter vs. Marshall (1868) L. R. 3 H. L. 17.

21 Hill, Mark, Ecclesiastical Law, S. 349.

22 Coronation Oath Act 1688.

23 Leeder, Lynne, Ecclesiastical Law Handbook, S. 15.

24 http://www.parliament.the-stationery-office.co.uk/pa/ld/ldinfo/ldanal.htm.

25 McClean, David, State and Church in the United Kingdom 1994, S. 321.

26 Companion to the Standing Orders and guide to the Proceedings of the Lords, No. 1.07 (http://www.parliament.the-stationery-office.co.uk/pa/ld/ldcomp/compso01.htm).

27 Handley, Paul, Lords spiritual bag their seats, Church Times 14. Mai 1999.

28 Royal Commission on the Reform of the House of Lords, A House for the Future, S. 150, 152.

29 Jenkins, Steve, The General Synod, <http://www.ely.anglican.org/ministry/leaflets/gensynod.html>.

30 McClean, David, State and Church in Britain 1997, S. 142 f.

31 Leeder, Lynne, Ecclesiastical Law Handbook, S. 18.

32 Hill, Mark, Ecclesiastical Law, S. 7 f.; Summary of Church Assembly and General Synod Measures; http://www.cofe.anglican.org/legal/measures.html mit Nachweis aller Measures.

33 vgl. Human Rights Act 1998 Sect. 10 (6).

34 Hill, Mark, Ecclesiastical Law, S. 19 f.

35 McClean, David, State and Church in Britain 1999, S. 239

36 McClean, David, State and Church in Britain 1998, S. 194 f.

37 McClean, David, State and Church in Britain 1995, S. 130.

38 McClean, David, State and Church in the United Kingdom 1994, S. 312.

39 McClean, David, State and Church in England 1993, S. 20 f.

40 The Times, 26. Juni 1994.

41 General Synod Report of Proceedings 25, S. 316.

42 McClean, David, State and Church in Britain 1997, S. 137.

43 Obgleich diese Bemerkung vielleicht eher im Genre der yellow press anzusiedeln wäre, erscheint sie mir angesichts der Bedeutung der praktischen Umsetzung des staatskirchenrechtlichen Gefüges in England durchaus gerechtfertigt.

44 McClean, David, State and Church in England 1993, S. 19.

45 R vs. Ecclesiastical Committee of the Houses of Parliament, ex parte the Church Society, Queen's Bench Divisional Court, 28 Oct 1993, bei: Hill, Mark, Ecclesiastical Law, S. 72 ff.

46 Zu der umfangreichen und hartnäckigen Prozesstätigkeit des anglikanischen Geistlichen Paul Williamson sh.: McClean, David, State and Church in Britain 1994, S. 138 ff.

47 McClean, David, State and Church in Britain 1995, S. 161 ff. m. w. N.

48 Hill, Mark, Ecclesiastical Law, S. 235, 238.

49 McClean, David, State and Church in the United Kingdom 1994, S. 315.

50 General Synod Report of Proceedings 24, 16 February 1993, Seite 15 f.

51 McClean, David, State and Church in Britain 1997, S. 138.

52 Crown Appointments Commission Review Group, Working with the spirit - Choosing diocesan Bishops.

53 Hill, Mark, Ecclesiastical Law, S. 11.

54 McClean, David, State and Church in the United Kingdom 1994, S. 313.

55 Hill, Mark, Church Autonomy in the United Kingdom, S. 6

56 Places of Worship Registration Act 1855.

57 Marriage Ceremony (Prescribed Words) Act 1996.

58 Barralet vs. Attorney-General (1980) 3 All ER 918.

59 Woodruff, Douglas, Church and State in History, S. 73.

60 Education Act 1996.

61 Harte, David, Religious Education and Worship in State Schools, S. 119.

62 McClean, David, State and Church in the United Kingdom 1994, S. 316.

63 Doe, Norman, The Legal Framework of the Church of Enland, S. 276.

64 Harte, David, Religious Education and Worship in State Schools, S. 121.

65 Department of Education and Employment, Excellence in Schools, S. 67.

66 McClean, David, State and Church in Britain 1998, S. 190.

67 The Church of England Today: Facts and Figures (http://www.gazette.cofe.anglican.org/articles/01_11_page11.html).

68 Equal Pay Act 1970; Industrial Relations Act 1979; Sex Discrimination Act 1975 [wobei den Kirchen und anderen religiösen Gemeinschafen im 19. Abschnitt Ausnahmen eingeräumt werden]; Race Relations Act 1976; Employment Protection (Consolidation) Act 1978.

69 Leeder, Lynne, Ecclesiastical Law Handbook, S. 203.

70 Coker vs. Diocese of Southwark (1995) I.C.R. 563.

71 Hill, Mark, Ecclesiastical Law, S. 220 f.

72 President of the Methodist Conference vs. Parfitt (1984) Q. B. 368 (C. A.); Santokh Sing vs. Guru Nanak Gurdwara (1990) I.C.R. 309.

73 McClean, David, State and Church in Britain 1998, S. 191.

74 Leeder, Lynne, Ecclesiastical Law Handbook, S. 434 f.

75 Hill, Mark, Church Autonomy in the United Kingdom, S. 10.

76 Whitehouse vs. Gay News Ltd and Lemon (1979) 1 All ER 898.

77 Doe, Norman, The Legal Framework of the Church of Enland, S. 272.

78 McClean, David, State and Church in Britain 1999, S. 238 f.

79 Leeder, Lynne, Ecclesiastical Law Handbook, S. 251.

80 McClean, David, Establishment in a European Context, S. 134.

81 McClean, David, State and Church in Britain 1995, S. 127 ff.

82 McClean, David, State and Church in the United Kingdom 1994, S. 320.

83 McClean, David, State and Church in Britain 1999, S. 237.

84 McClean, David, Establishment in a European Context, S. 130.

85 Royal Commission on the Reform of the House of Lords, A House for the Future, S. 152.

86 Rhode, Ulrich, Vorlesung Staatskirchenrecht WS 2000/2001, S. 48

87 Weller, Paul, Feldman, Alice & Purdam, Kingsley, Religious discrimination in England and Wales, S. 10.

88 The Times, 16. Mai 1994.

89 McClean, David, State and Church in the United Kingdom 1994, S. 308.

90 So aber: McClean, David, Establishment in a European Context, S. 133.

91 Watkin, Thomas Glyn, Church and State in a changing world, S. 90.

92 McClean, David, State and Church in Britain 1999, S. 236.