Trennung von Kirche und Staat - Separation de l'Église et de l'État. Hrsg. v. Louis Carlen

(= Freiburger Veröffentlichungen aus dem Gebiete von Kirche und Staat 41). Freiburg i. Ue. Editions Universitaires 1994. 85 S. Br. SFr 20,-

Dieser Band aus der hier schon mehrfach rezensierten Reihe ist die Dokumentation einer Tagung über das Thema "Trennung von Kirche und Staat", die in Fribourg stattgefunden hat. Sie beginnt mit einer Einleitung von Louis Carlen, die den Grund für diese Tagung zunächst in der historischen Entwicklung in der Schweiz sucht. Hier erfolgte 1976 eine erste Trennungsinitiative, die allerdings in der eidgenössischen Volksabstimmung 1980 klar abgelehnt wurde. Man fürchtete damals, daß eine Annahme der Trennungsinitiative den Kantonen jegliche staatskirchenrechtlichen Kompetenzen nehme und staatspolitisch den kantonalen Föderalismus in bezug auf das Staatskirchenrecht weitgehend eliminieren würde. In Zürich wurde 1993 eine kantonal-zürcher Volksinitiative gestartet, mit der Art. 64 der Kantonsverfassung geändert werden soll: "Die Glaubens-, Gewissens- und Kultusfreiheit ist nach Maßgabe des Bundesrechts gewährleistet. Staat und Kirche sind getrennt. Für alle Religionsgesellschaften gelten die Bestimmungen des Privatrechts." Auch im Glarus 1993 und im Kanton St. Gallen erfolgten Einzelvorstöße zugunsten einer Trennung von Kirche und Staat. Weihbischof Amédé Grab aus Genf behandelt vor allem die kirchliche Lehre in dieser Frage. Alexander Hollerbach stellt das in der Bundesrepublik Deutschland herrschende System vor, das eine eigenartige Symbiose von Trennung (es besteht keine Staatskirche) und Verbindungen, vor allem auch vertraglicher Natur, zwischen Kirche und Staat repräsentiert. Diese Entwicklung hat sich auch in den Verträgen mit den fünf neuen Bundesländern fortgesetzt. Die Kirchen und Religionsgemeinschaften haben einen verfassungsunmittelbaren Rechtsstatus, der sich auf das Grundrecht der Religionsfreiheit, auf das Verbot der Staatskirche und auf die Gewährleistung des Selbstbestimmungsrechts innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes gründet. Alle Religionsgemeinschaften besitzen diesen konstitutionellen Grundstatus, der unantastbar ist. Die Verfassung enthält aber auch eine positive Entscheidung für die Aufrechterhaltung gewisser Verbindungen und für die Zusammenarbeit zwischen Kirche und Staat. Der Körperschaftsstatus, der faktisch nicht allen Kirchen und Religionsgemeinschaften zukommt (sei es, weil sie nicht darum einkommen, sei es, weil sie nicht alle Voraussetzungen erfüllen, wie z. B. noch beim Islam), anerkennt die Bedeutsamkeit der Kirchen und Religionsgemeinschaften für die Gesamtordnung des Staates. Der Blick zu den Nachbarn zeigt, daß es für das Verhältnis von Kirche und Staat einen Fixpunkt gibt, nämlich das Menschenrecht der Religionsfreiheit, das in Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention und in Art. 18 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte seinen Niederschlag gefunden hat. Zweiter Eckpunkt ist das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen. Im übrigen bietet Europa reichen Anschauungsunterricht für einen nicht unerheblichen Spielraum konkreter Ausgestaltung und Regelungsformen. Es zeigt sich, daß sich die Systeme zum Teil praktisch auch aneinanderlehnen. Allerdings wären, wie ich meine, Verträge zwischen Kirche und Staat z. B. im System der französischen laïcité wohl nicht möglich. Andreas Honneker, Zürcher Politiker und Redakteur an der "Neuen Züricher Zeitung", hält ein Plädoyer für die Trennung von Kirche und Staat. An Schweizer Problemen sind vor allem die automatische Mitgliedschaft in einer Kirchengemeinde, die selektiven Subventionen durch allgemeine Steuermittel und die Kirchensteuerpflicht für juristische Personen zu nennen. Das Schweizer Staatskirchenrecht ist allerdings sehr differenziert, es gibt auch Kantone, in denen das Trennungssystem herrscht, so z. B. im "protestantischen Rom", in Genf. Wenn so aus einer liberalen Grundhaltung heraus alles Staat und Kirche Verbindende in den Abfallkorb der Geschichte geworfen wird, so ist es andererseits Moritz Amherd, Generalsekretär der Römisch-katholischen Zentralkonferenz in Zürich, der die Folgen einer Trennung von Kirche und Staat für die Kirchen düster an die Wand malt. Im strukturellen Bereich würden etwa bei der katholischen Kirche Verschiebungen der Kompetenzen weg von den Laien stattfinden. Das Mitspracherecht, und ganz besonders das Mitentscheidungsrecht der Laien, würde sichtlich geschmälert. Die Segmentierung der Kirche würde gefördert, weil das einigende Band einer Kantonalkirche, deren gemeinsames Merkmal zumindest die Bezahlung der Kirchensteuer an ein gemeinsames Organ ist, wegfiele. Dem wird von Bischof Grab etwa entgegengehalten, daß die Form der Kirchenfinanzierung in der Schweiz dazu führt, daß die Pfarreien reich, die Bischöfe aber arm seien. Im finanziellen Bereich würde die Trennung von Kirche und Staat zu einer Katastrophe führen, sowohl was die Personalkosten betrifft (die Kirche wäre wieder froh, daß ihre Geistlichen nicht verheiratet sind), als auch was die kirchlichen Bauten betrifft. Hier müßte man zu einer Art französischen Lösung kommen. Sie gilt in einem Kanton schon, wo die Kirchengebäude durch den Staat erhalten werden. Das Buch wird abgeschlossen mit einer Bibliographie zur Trennung von Kirche und Staat in Auswahl, betreffend die Länder Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich und Schweiz.

1

Die Dokumentation der vorliegenden Tagung belegt vor allem, daß die Diskussion um das Verhältnis von Kirche und Staat weitergeht, daß sie aktuelle Hintergründe hat und daß die Befürworter einer Trennung langsam an Boden gewinnen. Im Oktober 1995 fand wieder eine Trennungsabstimmung statt! Darüber hinaus werden die Folgen einer Trennung verschieden beurteilt. Das Hauptproblem scheint wohl die Frage der Finanzierung zu sein. Ein wichtiger Band, der auch in der Bundesrepublik Deutschland zum Denken anregen könnte.

2

Richard Puza