Bundesverfassungsgericht: Pressemitteilung Nr. 14 vom 18.02.2009
Verfassungsbeschwerde eines nicht mehr bekennenden Theologieprofessors gegen seinen Ausschluss aus der Theologenausbildung erfolglos
Der Beschwerdeführer ist seit 1983 Professor an der Theologischen Fakultät einer niedersächsischen Universität und war ursprünglich für das Fach "Neues Testament" in Lehre, Forschung und Weiterbildung verpflichtet. Nachdem er sich vom christlichen Glauben öffentlich losgesagt hatte, wurde er verpflichtet, das Fach "Geschichte und Literatur des frühen Christentums" zu vertreten. Dieses Fach wurde dem Institut für Spezialforschungen zugeordnet, und die Lehrveranstaltungen des Beschwerdeführers wurden im Vorlesungsverzeichnis mit dem Zusatz "außerhalb der Studiengänge zur Ausbildung des theologischen Nachwuchses" angekündigt. Die vom Beschwerdeführer dagegen vor den Verwaltungsgerichten erhobene Klage blieb in allen Instanzen ohne Erfolg.
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts wies die Verfassungsbeschwerde zurück und kam zu dem Ergebnis, dass der Ausschluss eines nicht mehr bekennenden Theologieprofessors aus der bekenntnisgebundenen Theologenausbildung durch die Zuweisung eines anderen Fachs mit der Wissenschaftsfreiheit vereinbar ist. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht und das Recht der Fakultät, ihre Identität als theologische Fakultät zu wahren und ihre Aufgaben in der Theologenausbildung zu erfüllen, durften im vorliegenden Fall höher bewertet werden als die Wissenschaftsfreiheit des Beschwerdeführers.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen die folgenden Erwägungen zugrunde:
Für Hochschullehrer ist Kern der durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten Wissenschaftsfreiheit das Recht, ihr Fach in Forschung und Lehre zu vertreten. Diese Freiheit wird auch durch den ihnen übertragenen Lehrauftrag maßgeblich geprägt. Eine Änderung des zu vertretenden Faches berührt daher notwendig den Inhalt der Lehrfreiheit. Indem dem Beschwerdeführer anstelle des Faches "Neues Testament" das Fach "Geschichte und Literatur des frühen Christentums" zugewiesen wurde und er dadurch aus der bekenntnisgebundenen Theologenausbildung ausschied, ist in die Wissenschaftsfreiheit eingegriffen worden. Die Freiheit der Wissenschaft ist zudem dadurch betroffen, dass dem Beschwerdeführer durch die Umsetzung von einem Kernfach in ein nicht ausbildungsrelevantes Randgebiet eine in ihrer Bedeutung im Lehr- und Forschungszusammenhang der Universität deutlich verminderte Stellung übertragen wird und dies eine staatliche Reaktion auf spezifisch wissenschaftliche Äußerungen und Positionen darstellt. Gerade dadurch realisiert sich die Gefahr, vor der Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG Schutz gewähren will.
Der Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit ist jedoch mit Rücksicht sowohl auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV) als auch auf die ihrerseits durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützten Rechte der Fakultät gerechtfertigt. Die Wissenschaftsfreiheit von Hochschullehrern der Theologie findet ihre Grenzen am Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften. Das Grundgesetz erlaubt die Lehre der Theologie als Wissenschaft an staatlichen Hochschulen. Sind staatliche theologische Fakultäten eingerichtet, muss das Selbstbestimmungsrecht derjenigen Religionsgemeinschaft beachtet werden, deren Theologie Gegenstand der konfessionsgebundenen Lehre ist. Das Amt des Hochschullehrers an einer theologischen Fakultät darf daher bekenntnisgebunden ausgestaltet werden. Es kann und darf nicht Sache des religiös-weltanschaulich neutralen Staates sein, über die Bekenntnisgemäßheit theologischer Lehre zu urteilen. Dies ist vielmehr ein Recht der Glaubensgemeinschaft selbst.
Die Wissenschaftsfreiheit des Beschwerdeführers findet ihre Grenze auch an dem seinerseits durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützten Recht der Fakultät, ihre Identität als theologische Fakultät zu wahren und ihre Aufgaben in der Theologenausbildung zu erfüllen. Für eine theologische Fakultät wird ihr Lehr- und Forschungsauftrag wesentlich durch die Bekenntnismäßigkeit der Lehre mitbestimmt. Diese Funktion wird gefährdet, wenn die Ausbilder öffentlich nicht mehr an den Glaubensüberzeugungen der Kirche festhalten. Eine theologische Fakultät wäre in ihrer Existenz bedroht, wenn die Kirche die dort vertretene Lehre, zumal in einem Kernfach wie "Neues Testament", nicht mehr als bekenntnismäßig ansehen und in der Konsequenz ihre Absolventen nicht als Geistliche aufnehmen und an ihr ausgebildete Religionslehrer nicht zum bekenntnisgebundenen Religionsunterricht zulassen würde. Für evangelische Fakultäten kommt hinzu, dass die Kirche es ihnen - anders als die katholische Kirche mit ihrem verbindlichen Lehramt - in erster Linie selbst überlässt, die Bekenntnismäßigkeit der Lehre zu wahren.
Die angegriffene Maßnahme der Universität und die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen haben im Ergebnis die Wissenschaftsfreiheit des Beschwerdeführers zutreffend gegen die entgegenstehenden verfassungsrechtlichen Belange abgewogen und dabei das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gewahrt.
Die Umsetzung des Beschwerdeführers vom konfessionsgebundenen Fach "Neues Testament" auf das nicht mehr konfessionsgebundene Fach "Geschichte und Literatur des frühen Christentums" und seine Entfernung aus der Ausbildung des theologischen Nachwuchses berücksichtigen das kirchliche Selbstbestimmungsrecht und fördern den Zweck der Bewahrung der Funktionsfähigkeit der theologischen Fakultät. Die Übertragung des neuen Faches ist dem Beschwerdeführer zumutbar, weil er seine Stellung als Hochschullehrer behält und ihm ein seinem ursprünglichen Fach weitgehend ähnliches Fach übertragen wurde. Er kann weiterhin ungehindert Lehrveranstaltungen anbieten, in einem von ihm selbst bestimmten Bereich forschen und publizieren sowie den Studenten die Ergebnisse seiner Forschung vermitteln. Auch die Folgen der Umsetzung für die Stellung des Beschwerdeführers in Lehre und Prüfung machen die Maßnahme nicht unzumutbar. Allerdings beeinträchtigt die Nichtberücksichtigung des neuen Faches des Beschwerdeführers in den Prüfungs- und Studienordnungen der theologischen Fakultät seine Lehrfreiheit nicht unerheblich. Den Hochschullehrern stehen Rechte auf Teilhabe an der amtsprägenden Tätigkeit der Studentenausbildung und der Nachwuchsförderung zu. Die Fachgerichte sind jedoch ohne Verfassungsverstoß davon ausgegangen, dass eine angemessene Einordnung des neuen Faches des Beschwerdeführers in Studien- und Prüfungsordnungen noch möglich ist, und dass die Durchsetzung eines entsprechenden Begehrens nicht Sache des vorliegenden Verfahrens, sondern zukünftiger Verhandlungen ist.
Beschluss vom 28. Oktober 2008 - 1 BvR 462/06 -