Bundesverfassungsgericht: Pressemitteilung Nr. 87 vom 30.11.2016
Die Befreiungsfestigkeit des besonderen Stilleschutzes am Karfreitag ist mit den Grundrechten unvereinbar
Die Regelungen des Bayerischen Gesetzes über den Schutz der Sonn- und Feiertage (FTG), die den Karfreitag als gesetzlichen Feiertag anerkennen und mit einem qualifizierten Ruhe- und Stillerahmen ausstatten, sind grundsätzlich verfassungsgemäß. Die Befreiungsfestigkeit dieses Tages, die eine Befreiung von den damit verbundenen Handlungsverboten selbst aus wichtigen Gründen von vornherein ausschließt (Art. 5 Halbsatz 2 FTG), erweist sich jedoch als unverhältnismäßig. Dies hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mit heute veröffentlichtem Beschluss entschieden. Damit hat er der Verfassungsbeschwerde einer Weltanschauungsgemeinschaft gegen die teilweise Untersagung einer am Karfreitag geplanten öffentlichen Veranstaltung stattgegeben.
Sachverhalt
Der Beschwerdeführer ist eine als Weltanschauungsgemeinschaft anerkannte Körperschaft des öffentlichen Rechts. Nach seinem Grundsatzprogramm versteht er sich als Gemeinschaft, die die Interessen und Rechte von Konfessionslosen auf der Basis der Aufklärung und des weltlichen Humanismus vertritt. Er tritt unter anderem für eine strikte Trennung von Kirche und Staat ein. Der Beschwerdeführer rief für den Karfreitag zu einer eintrittspflichtigen Veranstaltung in einem Münchener Theater auf. Diese stand unter dem Motto „Religionsfreie Zone München 2007“ und umfasste neben dem untersagten Veranstaltungsteil Filmvorführungen („Atheistische Filmnacht“/„Freigeister-Kino“), ein Pralinenbuffet sowie Erläuterungen der Anliegen und die Vorstellung der Ziele der Weltanschauungsgemeinschaft. Untersagt wurde die zum Abschluss der Veranstaltung vorgesehene „Heidenspaß-Party“, die der Beschwerdeführer als „Freigeister-Tanz“ mit einer Rockband angekündigt hatte.
Nach Ansicht der Ordnungsbehörde hätte der letzte Veranstaltungsteil gegen die Vorschriften des FTG verstoßen. Das FTG bestimmt den Karfreitag als „stillen Tag“, an dem über den allgemeinen Sonn- und Feiertagsschutz hinaus öffentliche Unterhaltungsveranstaltungen, die den ernsten Charakter des Tages nicht wahren, sowie musikalische Darbietungen jeder Art in Räumen mit Schankbetrieb verboten sind. Anders als für die übrigen stille Tage schließt es die Möglichkeit einer Befreiung von diesen Handlungsverboten für den Karfreitag aus (Art. 5 Halbsatz 2 FTG). Die vom Beschwerdeführer erhobenen Rechtsbehelfe gegen die Untersagung blieben erfolglos. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer insbesondere eine Verletzung seiner Weltanschauungsfreiheit sowie der Versammlungsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 8 GG).
Wesentliche Erwägungen des Senats
Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet.
1. Die Anerkennung des Karfreitags als gesetzlicher Feiertag und seine Ausgestaltung als stiller Tag einschließlich des Verbots bestimmter öffentlicher Unterhaltungsveranstaltungen und musikalischer Darbietungen in Räumen mit Schankbetrieb greifen in die allgemeine Handlungsfreiheit sowie gegebenenfalls auch in die Berufsfreiheit und in die Kunstfreiheit ein. In besonders gelagerten Fällen kann sie auch die grundrechtlich geschützte Weltanschauungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit berühren.
2. a) Diese Eingriffe rechtfertigen sich dem Grunde nach aus der verfassungsrechtlichen Garantie des Sonn- und Feiertagsschutzes sowie der dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen verliehenen Befugnis, Feiertage anzuerkennen und die Art und das Ausmaß ihres Schutzes zu regeln (Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV). Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt. An diesen Tagen soll grundsätzlich die Geschäftigkeit in Form der Erwerbsarbeit, insbesondere der Verrichtung abhängiger Arbeit, ruhen, damit der Einzelne diese Tage allein oder in Gemeinschaft ungehindert von werktäglichen Verpflichtungen und Beanspruchungen nutzen kann. Die soziale Bedeutung des Sonn- und Feiertagsschutzes im weltlichen Bereich resultiert wesentlich aus der synchronen Taktung des sozialen Lebens. Dabei verfolgt die Regelung zunächst die weltlich-sozialen Ziele der persönlichen Ruhe, Erholung und Zerstreuung. Daneben kommt der Vorschrift auch eine religiöse Bedeutung zu, indem sie auch auf die Möglichkeit der Religionsausübung sowie darauf abzielt, dass Gläubige diesen Tagen ein Gesamtgepräge geben können, wie es ihrem Glauben entspricht.
b) Nach diesen Grundsätzen ist die Auswahl des Karfreitags als gesetzlicher Feiertag verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie lässt sich auf die gesetzgeberische Regelungsbefugnis stützen und ist weder neutralitäts- noch gleichheitswidrig. Dem Gesetzgeber ist es nicht verwehrt, im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit als Feiertage auch solche auszuwählen, die aufgrund von Traditionen, kultureller oder weltanschaulich-religiöser Prägung für große Bevölkerungsteile wichtig sind. Die Möglichkeit der Angehörigen anderer Religionen und Weltanschauungen, ihre Feiertage angemessen zu begehen, wird hierdurch nicht eingeschränkt.
c) Die Ausgestaltung des Karfreitags als ein besonderen Regelungen unterliegender stiller Tag und damit die Schaffung eines qualifizierten Ruheschutzes ist dem Grunde nach ebenfalls gerechtfertigt. Der Gesetzgeber kann das Ausmaß des Feiertagsschutzes gesetzlich ausgestalten. Insoweit steht es ihm frei, für bestimmte Tage einen über die bloße Arbeitsruhe hinausgehenden äußeren Ruhe- und Stilleschutz zu schaffen. Wie umfassend er diesen Schutz im Einzelnen fassen darf, ist eine Frage der Verhältnismäßigkeit der Regelung. Auch die Schaffung eines besonderen Schutzes, der der gefestigten Bedeutung des Karfreitags nach christlicher Überlieferung entspricht, begegnet im Grundsatz keinen durchgreifenden Bedenken mit Blick auf das grundgesetzliche Neutralitätsverständnis, solange sich der Gesetzgeber darauf beschränkt, einen geschützten Rahmen zur Verfügung zu stellen, der eine in religiöser oder anderer Weise qualifizierte Begehung solcher Tage nur ermöglicht. Die inhaltliche Ausfüllung dieses Freiraums obliegt hingegen den Einzelnen allein oder in Gemeinschaft. Es ist dabei Teil der demokratisch legitimierten Ausgestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, über die Auswahl solcher Tage zu entscheiden, die nur für Teile der Bevölkerung eine spezifisch geprägte Rolle spielen. Auf die Frage, wie viele der Kirchenangehörigen den Karfreitag in seiner religiösen Bedeutung in Gemeinschaft oder zurückgezogen in Privatheit begehen, kommt es daher nicht an.
3. Die konkrete Ausgestaltung des Karfreitagsschutzes erweist sich jedoch als unverhältnismäßig. Der Ausschluss einer Befreiungsmöglichkeit lässt sich in dieser Strenge für Fallgestaltungen, bei denen der Schutz des Feiertages mit den Gewährleistungen der Versammlungsfreiheit oder der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit anderer zusammentreffen, nicht mehr als angemessener Ausgleich der verfassungsrechtlichen Positionen begreifen. Der strikte Befreiungsausschluss des Art. 5 Halbsatz 2 FTG ist deshalb mit der Weltanschauungsfreiheit und der Versammlungsfreiheit unvereinbar und nichtig.
Zwar sind Unterhaltungsveranstaltungen und musikalische Darbietungen in Räumen mit Schankbetrieb in der Regel nicht als Versammlungen im Sinne des Art. 8 GG oder als Ausübung der Bekenntnisfreiheit zu qualifizieren, ebenso wie umgekehrt Versammlungen normalerweise nicht als Unterhaltungsveranstaltungen aufzufassen sind. Ist dies jedoch ausnahmsweise der Fall, kann dies zu einer vom Regelfall abweichenden Beurteilung der Angemessenheit von Verboten zum Schutz des stillen Charakters führen. Das Verbot stößt hier nicht allein auf ein schlichtes wirtschaftliches Erwerbsinteresse oder allein auf ein Vergnügungs- und Erholungsinteresse von Veranstaltern, Künstlern und potenziellen Besuchern, sondern betrifft wegen der besonderen Bedeutung der Versammlungsfreiheit als wesentliches Element „demokratischer Offenheit“ die Teilhabe am öffentlichen Meinungsbildungsprozess und damit eine ihrerseits für das Gemeinwesen gewichtige grundrechtliche Gewährleistung. Entsprechendes gilt für Veranstaltungen, die dem Schutz der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit, insbesondere auch in der Ausprägung als Weltanschauungsfreiheit, unterfallen. Die Durchführung solcher Veranstaltungen stellt den grundsätzlichen Ruhe- und Stilleschutz am Karfreitag nicht gleichermaßen in Frage und hat ein anderes Gewicht, so dass sich der besondere Schutz der stillen Tage gegenüber den betroffenen Grundrechten in diesen Fällen nur nach Maßgabe einer Abwägung im Einzelfall durchsetzen kann. Werden solche Veranstaltungen von den Verbotsregeln des FTG erfasst, muss der Gesetzgeber daher einen Ausnahmetatbestand vorsehen, der es ermöglicht, Befreiungen von diesen Verboten zu erteilen. Der Erteilung von Befreiungen für Veranstaltungen bei derartigen Grundrechtskonflikten steht auch nicht etwa die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der christlichen Teile der Bevölkerung entgegen. Aus dieser lässt sich keine verfassungsrechtliche Position ableiten, die den strikten Befreiungsausschluss rechtfertigen könnte. Insbesondere schützt sie nicht vor der Konfrontation mit Bekundungen eines nicht geteilten Glaubens oder einer nicht geteilten Weltanschauung.
4. Die angegriffenen Entscheidungen der Behörden und tatsacheninstanzlichen Gerichte werden den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht und konnten diesen angesichts der Gesetzeslage auch nicht genügen. Sie verletzen den Beschwerdeführer in seiner Weltanschauungsfreiheit und Versammlungsfreiheit. Der untersagte Veranstaltungsteil ist dem Schutzbereich der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit in ihrer Ausprägung als Weltanschauungsfreiheit zuzuordnen und als Ausübung der Weltanschauungsfreiheit zu beurteilen. Darüber hinaus konnte der Beschwerdeführer für die untersagte Veranstaltung auch den Schutz der Versammlungsfreiheit in Anspruch nehmen. Die Gesamtschau aller Umstände, die wegen ihrer unmittelbaren Grundrechtsrelevanz vom Bundesverfassungsgericht verfassungsrechtlich überprüfbar ist, führt hier zu dem Ergebnis, dass auch der untersagte Veranstaltungsteil dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit zuzuordnen ist.
Fällt die Veranstaltung des Beschwerdeführers unter den Schutz der Weltanschauungsfreiheit und der Versammlungsfreiheit, so durfte nach den dargelegten Maßstäben dem Feiertagsschutz nicht der unbedingte Vorrang gegeben werden. Vielmehr bedurfte es einer Abwägung im Einzelfall. Im Ergebnis dieser Abwägung wäre eine Befreiung im Sinne des Art. 5 FTG zu erteilen gewesen. Das Gewicht der Grundrechte des Beschwerdeführers und der nach den Umständen des Einzelfalls vergleichsweise geringere Einfluss auf den besonderen äußeren Ruheschutz des Karfreitags führen hier dazu, dass bei verfassungskonformem Verständnis vom Vorliegen wichtiger Gründe für eine Befreiung ausgegangen werden musste. Die Veranstaltung fand in einem geschlossenen Raum mit überschaubarer Teilnehmerzahl statt und sollte auch in ihrem zweiten Teil dort abgehalten werden. An dem konkreten Veranstaltungsort hatte sie vergleichsweise geringe Auswirkungen auf den öffentlichen Ruhe- und Stillecharakter des Tages. Angesichts ihres thematischen Bezuges zum Karfreitag kam es auch maßgeblich darauf an, die Veranstaltung gerade an diesem Tag abzuhalten. Schließlich hätte die Möglichkeit bestanden, dem Ruhe- und Stilleschutz durch Auflagen gerecht zu werden, welche die Auswirkungen für den Ruherahmen in seiner Bedeutung für den allgemein wahrnehmbaren Charakter des Tages als Ganzes gegebenenfalls weiter begrenzt hätten.
Beschluss vom 27. Oktober 2016