Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts
Nr. 41/1997 vom 06. November 1997
Entziehung der Rechtsfähigkeit des Vereins Scientology Neue Brücke e.V.: Bundesverwaltungsgericht verweist Rechtsstreit an den Verwaltungsgerichtshof Mannheim zurück
Das Regierungspräsidium Stuttgart entzog dem Verein Scientology Neue Brücke, Mission der Scientology Kirche e.V. in Stuttgart die Rechtsfähigkeit, weil er entgegen dem Wortlaut der Vereinssatzung nicht nur ideelle Zwecke verfolge, sondern einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb unterhalte. Das Verwaltungsgericht Stuttgart wies die dagegen gerichtete Klage ab. Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hob den Bescheid des Regierungspräsidiums im wesentlichen mit der Begründung auf, der klagende Verein verfolge zwar einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb; die Entziehung der Rechtsfähigkeit scheide jedoch aus, wenn der Verein eine Religionsgemeinschaft darstelle; das Regierungspräsidium habe rechtsfehlerhaft unterlassen, dies zu prüfen. Das Bundesverwaltungsgericht hat auf die Revisionen des Landes Baden-Württemberg und des Vertreters des öffentlichen Interesses die Sache an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Rechtsform des eingetragenen Vereins steht nach den Vorschriften des BGB nur solchen Vereinen offen, deren Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist (Idealvereine). Wirtschaftlich tätige Vereine müssen sich der handelsrechtlichen Gesellschaftsformen (etwa GmbH, AG) bedienen oder können unter engen Voraussetzungen Rechtsfähigkeit durch staatliche Verleihung erlangen. Diese Regelungen verfolgen im Interesse des Rechts- und Geschäftsverkehrs, insbesondere aus Gründen des Gläubigerschutzes, das Ziel, daß sich Vereine, die sich unternehmerisch betätigen, nicht den handelsrechtlichen Vorschriften u.a. über die Mindestkapitalausstattung sowie über Bilanzierungs-, Buchprüfungs- und Offenlegungspflichten entziehen. Betätigt sich ein eingetragener Verein tatsächlich als Unternehmer, kann ihm die zuständige Verwaltungsbehörde gemäß § 43 Abs. 2 BGB die Rechtsfähigkeit entziehen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Tätigkeiten eines Vereins als wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb anzusehen, wenn es sich um planmäßige, auf Dauer angelegte und nach außen gerichtete, d.h. über den vereinsinternen Bereich hinausgehende, eigenunternehmerische Tätigkeiten handelt, die auf die Verschaffung vermögenswerter Vorteile zugunsten des Vereins oder seiner Mitglieder abzielen. Ein Idealverein wird nicht zum wirtschaftlichen Verein, wenn er zur Erreichung seiner idealen Ziele unternehmerische Tätigkeiten entfaltet, sofern diese dem nicht wirtschaftlichen Hauptzweck zu- und untergeordnet und Hilfsmittel zu dessen Erreichung sind (sog. Nebenzweckprivileg). Im vorliegenden Rechtsstreit war über die Anwendung dieser Grundsätze auf einen Verein zu befinden, der sich nach seiner Satzung als Religionsgemeinschaft versteht und seine Dienste grundsätzlich gegen Entgelt erbringt.
Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, daß ein Verein keinen Wirtschaftsbetrieb unterhält, soweit er seinen Mitgliedern Leistungen anbietet, in denen sich die Vereinsmitgliedschaft verwirklicht und die unabhängig von den mitgliedschaftlichen Beziehungen nicht von anderen Anbietern erbracht werden können. Dann liegt nämlich keine unternehmerische Tätigkeit vor. Dies ist beim Kläger der Fall, wenn das nach seiner Satzung als "geistliche Beratung" zu verstehende sog. Auditing und die Seminare und Kurse "zur Erlangung einer höheren Daseinsstufe" von gemeinsamen Überzeugungen der Mitglieder getragen sind, von denen sie nicht gelöst werden können, ohne ihren Wert für den Empfänger zu verlieren. Die Überzeugungen, die die Mitglieder als Gemeinschaft zusammenführen und die dem Verein seine Eigenart vermitteln, müssen nicht notwendig als Religion im Rechtssinne anzusehen sein.
Liegen solche Umstände vor, spielt es keine Rolle, ob der Kläger mit anderen auf einem "weltanschaulichen Markt" konkurriert. Unerheblich ist auch, daß der Kläger sich nicht allein durch allgemeine Mitgliedsbeiträge, sondern vorwiegend durch Entgelte für Einzelleistungen finanziert. Gefahren, die einzelnen, wie der Beklagte vorgetragen hat, aufgrund ihrer Mitgliedschaft beim Kläger in persönlicher oder finanzieller Hinsicht drohen, rechtfertigen als solche nicht, ihm die Rechtsfähigkeit mit der Begründung zu entziehen, er verfolge den Zweck eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs; ob den behaupteten Gefahren mit anderen hoheitlichen Mitteln begegnet werden kann, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits.
Ob die nach diesen Maßstäben erforderlichen Voraussetzungen für den angefochtenen Bescheid vorliegen, hat der Verwaltungsgerichtshof nicht festgestellt, weil er von einer abweichenden Rechtsauffassung ausgegangen ist.
Der Verkauf von Schriften und das Angebot entgeltlicher Einführungskurse u.ä. an Nichtmitglieder können einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb des Klägers begründen, wenn sie nicht unter das sog. Nebenzweckprivileg fallen. Allerdings fehlen auch insoweit bislang Feststellungen zum maßgebenden Sachverhalt, namentlich dazu, ob dem Kläger die Tätigkeiten seiner Mitglieder und anderer Organisationen der Scientology Kirche zugerechnet werden können.
Zur weiteren Aufklärung der entscheidungserheblichen Umstände hat das Bundesverwaltungsgericht die Sache an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
BVerwG, Urteil vom 06. November 1997 - 1 C 18.95