09. Januar 1999

Bundesverfassungsgericht: Pressemitteilung Nr. 2 vom 09.01.1999

Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen die Verpflichtung, die Kirche St. Salvator in München an den Freistaat Bayern "herauszugeben"

 

Keinen Erfolg hatte eine Verfassungsbeschwerde der "Griechischen Kirchengemeinde München und Bayern e.V.", mit der sich die Religionsgemeinschaft dagegen wehren wollte, daß der Freistaat Bayern als Eigentümer die St. Salvator Kirche in München von ihr herausverlangte. Nach dem Beschluß des BVerfG muß die Kirchengemeinde das Gotteshaus nun an das Land Bayern "herausgeben", damit sie der "Metropolie von Deutschland" übergeben werden kann.

Der Zweite Senat des Gerichts entschied, das "Herausgabeverlangen" des Freistaates verstoße nicht gegen die "Kirchengutsgarantie", die sich aus Art. 140 des Grundgesetzes (GG) in Verbindung mit Art. 138 Abs. 2 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) ergibt.

Seit über 20 Jahren war Bayern darum bemüht, die "Herausgabe" der Kirche zu erreichen. Der Freistaat ist der Ansicht, eine Nutzung der Kirche durch die "Griechische Kirchengemeinde München und Bayern e.V." verfehle den Stiftungszweck, den König Ludwig I. von Bayern im Auge hatte, als er das Gotteshaus St. Salvator vor über 150 Jahren den orthodoxen Christen zum Gebrauch "für den griechischen Kultus" überließ. Zu dieser Einschätzung kam der Freistaat nach einem Streit zwischen der "Griechischen Kirchengemeinde München und Bayern e.V." und der neukalendarischen "Metropolie von Deutschland", die bis dahin den Pfarrer für St. Salvator entsandt hatte. Dieser Streit führte dazu, daß sich die "Kirchengemeinde" in St. Salvator der altkalendarischen "Kirche der wahren orthodoxen Christen Griechenlands und der Diaspora" anschloß.

Künftig soll die Münchner Kirche im Sinne des "Stifterwillens" König Ludwig I. der "Metropolie von Deutschland" überlassen werden.


I.


Rechtslage

Durch Art. 140 GG sind verschiedene Bestimmungen der WRV, die sich auf das Verhältnis des Staates zu den Kirchen beziehen, in das GG aufgenommen worden. Sie stehen mit den anderen Artikeln des GG auf derselben Stufe. Zu diesen Normen der WRV zählt auch Artikel 138, der sich dem Schutz des kirchlichen Vermögens widmet.

Der zweite Absatz dieser Norm lautet:

"Das Eigentum und andere Rechte der Religionsgesellschaften und religiösen Vereine an ihren für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und sonstigen Vermögen werden gewährleistet."


II.


Sachverhalt

Seit 1803 ist der Freistaat Bayern Eigentümer der St. Salvator Kirche in München. Zwischen 1828 und 1830 wurde die Kirche durch eine Verfügung König Ludwig I. von Bayern den griechisch-orthodoxen Christen Münchens zum Gebrauch überlassen. Seitdem wird sie für den griechisch-orthodoxen Kultus genutzt. Kirchenrechtlich unterstand die St. Salvator Kirche nach dem Willen Ludwig I. seit 1833 der Leitungsgewalt (Jurisdiktion) der griechisch-orthodoxen Autokephalen Kirche Griechenlands. In dieser kam es 1923 zu einer Spaltung über die Frage, ob der alte, der julianische, Kalender beibehalten oder der neue, der gregorianische, eingeführt werden solle. Die Autokephale Kirche von Hellas führte den neuen Kalender ein. Daneben besteht eine dem altkalendarischen Ritus anhängende Religionsgesellschaft der "Echten Orthodoxen Griechenlands". 1924 übertrug die Autokephale Kirche von Hellas ihre Jurisdiktion über die griechisch-orthodoxen Diasporagemeinden dem Patriarchat von Konstantinopel. 1953 errichtete das Ökumenische Patriarchat die "Metropolie von Deutschland", die jedenfalls seit 1965 die Pfarrer für die St. Salvator Kirche entsandte.

1976 kam es zu Streitigkeiten zwischen der "Metropolie" und dem Beschwerdeführer, in deren Verlauf die "Metropolie" den damaligen Gemeindepfarrer der St. Salvator Kirche anwies, vorläufig keine Gottesdienste und Amtshandlungen mehr vorzunehmen. 1976/77 ließ der Beschwerdeführer seinen langjährigen Kantor bei der altkalendarischen "Kirche der wahren orthodoxen Christen Griechenlands und der Diaspora" zum Priester weihen. Seitdem halten altkalendarische Pfarrer in der St. Salvator Kirche Gottesdienste ab und nehmen Amtshandlungen vor.

Im Juli 1977 teilte der Freistaat Bayern dem Beschwerdeführer mit, er beende die unentgeltliche Überlassung der St. Salvator Kirche und forderte ihn zur "Herausgabe" der Kirche auf. Da die "Metropolie" dem (damaligen) Gemeindepfarrer untersagt habe, in der St. Salvator Kirche Gottesdienste und kultische Handlungen zu vollziehen, könne der Zweck nicht mehr erreicht werden, dem König Ludwig I. die St. Salvator Kirche gewidmet habe.

Nachdem der Beschwerdeführer die Kirche nicht herausgab, erhob der Freistaat Bayern Klage. In der Folgezeit erging über einen Zeitraum von rund 20 Jahren durch verschiedene Rechtszüge und Instanzen hinweg eine Vielzahl gerichtlicher Entscheidungen mit unterschiedlichen Ergebnissen. Teils wurde eine Herausgabepflicht bejaht, teils verneint; maßgeblich hierfür waren auch unterschiedliche verfassungsrechtliche Ansatzpunkte der Fachgerichte. Letztlich entschied der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 25. Oktober 1995, daß die Kirche an den Freistaat Bayern herauszugeben sei. Daraufhin erhob der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde zum BVerfG und beantragte den Erlaß einer einstweiligen Anordnung. Die einstweilige Anordnung wurde erlassen und die Vollstreckung des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde einstweilen untersagt (vgl. Pressemitteilung Nr. 9/97 vom 17. Februar 1997).

Mit der u.a. gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs erhobenen Verfassungsbeschwerde rügte der Beschwerdeführer insbesondere eine Verletzung der "Kirchengutsgarantie" (Art. 140 GG i.V.m. Art. 138 Abs. 2 WRV). Er brachte vor, er sei als Religionsgesellschaft Träger des Grundrechts aus Art. 138 Abs. 2 WRV. Das Recht zum Besitz der St. Salvator Kirche habe ihm ununterbrochen als ein Recht im Sinne dieser Norm zugestanden. Mit der Aufforderung und der Verpflichtung, die Kirche "herauszugeben", griffen der Freistaat Bayern und die Gerichte in dieses Recht ein.


III.


Der Zweite Senat des BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen, da die angegriffenen Entscheidungen nicht gegen das GG verstoßen.

In der Begründung heißt es u.a.:

Der Widerruf des Gebrauchsüberlassungsverhältnisses durch den Freistaat Bayern war kein Eingriff in den Schutzbereich der Kirchengutsgarantie aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 138 Abs. 2 WRV.

Für die Frage des Eingriffs ist entscheidend, auf welchen Grund der Widerruf sich stützen kann. Unterliegt das - widerrufene - Recht einer ursprünglichen Beschränkung, weil es an bestimmte Voraussetzungen gebunden ist, und zielt der Widerruf darauf, die mit Wegfall der Voraussetzungen akut gewordene Beschränkung formal umzusetzen, greift er nicht in den Schutzbereich der "Kirchengutsgarantie" ein. So liegt der Fall hier:

    1. Nach den verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs war die Gebrauchsüberlassung von Beginn an an den Förderzweck gebunden, der Münchner griechisch-orthodoxen Kirchengemeinde ein Gotteshaus zur Verfügung zu stellen. Die Gebrauchsüberlassung sei als "Subventionsverhältnis" anzusehen, für dessen Auslegung der "Stifterwille" König Ludwig I. von Bayern ausschlaggebend sei. Dieser Förderzweck könne mit einer Gebrauchsüberlassung an den Beschwerdeführer nach dessen Jurisdiktionswechsel nicht mehr erreicht werden.
    1. Nach den fachgerichtlichen Feststellungen gehörte es zum Förderzweck der Gebrauchsüberlassung, daß die St. Salvator Kirche der Münchner griechisch-orthodoxen Gemeinde gerade als Auslandsgemeinde der griechisch-orthodoxen Autokephalen Kirche von Hellas übertragen worden war: Ludwig I. habe die Münchner griechisch-orthodoxe Kirchengemeinde als Auslandsgemeinde der Kirche von Hellas privilegieren wollen. Dieser Förderzweck könne nicht mehr erreicht werden, weil der Beschwerdeführer nach dem Selbstverständnis der griechisch-orthodoxen Autokephalen Kirche von Hellas nicht mehr als deren Auslandsgemeinde gelte.

      Auf dieses Selbstverständnis - so der Zweite Senat - kommt es maßgeblich an. Ist ein von Art. 138 Abs. 2 WRV geschütztes Recht, z.B. ein Nutzungsrecht, auf eine bestimmte Kirche bezogen, so bestimmt sich die Zugehörigkeit einzelner Gemeinden zu dieser Kirche zunächst nach deren Selbstverständnis. Dies entspricht auch dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht aus Art. 137 Abs. 3 WRV.

  1. Wegen dieser von den Fachgerichten festgestellten ursprünglichen Beschränkungen der Gebrauchsüberlassung ist ein Eingriff in den Schutzbereich der Kirchengutsgarantie nicht festzustellen.

    Der Widerruf der Gebrauchsüberlassung, der, wie hier, nur auf die weitere Verwirklichung des Stifterwillens abstellt, ist auch keine mit dem Grundsatz staatlicher Neutralität gegenüber den Religionen und Bekenntnissen unvereinbare Einmischung in eine rein innerkirchliche Streitigkeit.

    Der zwischen dem Freistaat Bayern und dem Beschwerdeführer geführte Rechtsstreit hängt zwar mit dem Jurisdiktionswechsel des Beschwerdeführers zusammen, der auch innerkirchliche Streitigkeiten mit der Metropolie nach sich gezogen hat. Der Staat hat sich jedoch in diesen Konflikt nicht unzulässig eingemischt, sondern sich auf die für ihn unvermeidliche Regelung der säkularen Folgen des Jurisdiktionswechsels beschränkt.

  2. Daß die Kirche in Erfüllung des Förderzwecks nunmehr der Metropolie übergeben wird, ist tragende Voraussetzung und zwingende Folge der verfassungsrechtlichen Würdigung des Widerrufs.

    Nicht der Staat erhebt für sich selbst Anspruch auf das Kirchengut, sondern die Metropolie als Religionsgesellschaft setzt ihren Anspruch auf die Kirche im Rahmen des Stifterwillens durch. Der Staat stellt hierfür nur den seinen Gerichten vorbehaltenen Rechtsschutz zur Verfügung.

    Entscheidung vom 13.10.1998, 2 BvR 1275/96