17. September 2002

Bundesverfassungsgericht: Pressemitteilung 81/2002 vom 17. September 2002

Grundrechtsbindung der Kirchen bei der Erhebung von Kirchensteuer

Die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerde (Vb) der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche und des Evangelisch-Lutherischen Kirchenkreises Oldenburg (Beschwerdeführer; Bf) nicht zur Entscheidung angenommen. Die Vb betrifft die Frage der Grundrechtsbindung des kirchlichen Gesetzgebers bei der Erhebung von Kirchensteuer.

1. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, die der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche und dem im Land Schleswig-Holstein gelegenen Kirchenkreis Oldenburg angehört, wurde mit Bescheid des Finanzamts Oldenburg für das Jahr 1994 zur Kirchensteuer in Höhe von 9 v. H. der von ihr zu entrichtenden Lohnsteuer herangezogen. Sie strebte die Herabsetzung der Kirchensteuer unter Zugrundelegung des in Hamburg damals geltenden niedrigeren Steuersatzes von 8 v.H. an. Nach der maßgeblichen Vorschrift des Kirchengesetzes der Evangelisch- Lutherischen Kirche in seiner im Steuerjahr 1994 geltenden Fassung erheben die Kirchenkreise die Kirchensteuer in Höhe eines Vomhundertsatzes der Einkommen - (Lohn-) Steuer. Im Jahr 1994 betrug sie im Bereich der Freien und Hansestadt Hamburg 8 v. H., im Bereich des Landes Schleswig-Holstein hingegen 9 v. H. der Einkommen - (Lohn-) Steuer. Seit 1. Januar 2001 gilt im gesamten Gebiet der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche der Hebesatz von 9 v. H.. Die Klägerin blieb mit ihrer Anfechtungsklage gegen den für das Jahr 1994 ergangenen Kirchensteuerbescheid vor dem Verwaltungsgericht ohne Erfolg, hingegen gab das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht (OVG) der Klage auf ihre Berufung statt. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat die gegen die Nichtzulassung der Revision erhobene Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen wenden sich die Bf mit ihrer Vb. Sie halten die Entscheidung über die Höhe des Hebesatzes für eine innerkirchliche Angelegenheit, die keiner Grundrechtsbindung unterliege. Außerdem hätte das OVG das in Rede stehende kirchliche Gesetz dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung auf seine Verfassungsmäßigkeit vorlegen müssen.

2. Die Voraussetzungen für die Annahme der Vb liegen nicht vor. Die Vb hat keine grundsätzliche Bedeutung und ist ohne Aussicht auf Erfolg. Ein Verstoß der Fachgerichte gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter liegt nicht vor. Bei dem von der Synode als innerkirchlich zuständigem Gesetzgebungsorgan erlassenen Kirchensteuerbeschluss handelt es sich um autonomes Satzungsrecht einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Es unterfällt daher nicht der Vorlagepflicht der Gerichte an das Bundesverfassungsgericht. Die angegriffenen Entscheidungen verletzten die Bf auch nicht in ihrem durch Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 Weimarer Reichsverfassung (WRV; siehe Anlage) geschützten Selbstbestimmungsrecht. Nach Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 6 WRV dürfen die Religionsgesellschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, von ihren Mitgliedern Steuern erheben. Der Staat ist verpflichtet, den Religionsgemeinschaften mit Körperschaftsstatus das Besteuerungsrecht als hoheitliche Befugnis zu verleihen. Daher sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Religionsgemeinschaften bei Inanspruchnahme des Hoheitsrechts an die grundgesetzliche Ordnung, vor allem an die Grundrechte gebunden. Rechtssetzung und Vollzug der Kirchensteuer unterliegen der Rechtskontrolle durch staatliche Gerichte und müssen darüber hinaus auch rechtsstaatlichen Grundsätzen genügen. Wollen die Kirchen diese Bindung vermeiden, müssen sie sich der Finanzierung durch private Mitgliedsbeiträge bedienen. Der Staat kommt seiner Verpflichtung aus der Verfassung nach, wenn er die rechtlichen Voraussetzungen für das Besteuerungsrecht schafft und dabei die Möglichkeit zwangsweiser Beitreibung vorsieht. In Schleswig- Holstein und in Hamburg hat sich der Gesetzgeber darauf beschränkt, die Kirchensteuerarten zu regeln und die Ermächtigungsgrundlage für den Erlass kirchlicher Steuergesetze zu schaffen, und er hat die Ausfüllung dieses Rahmens den Religionsgemeinschaften überlassen. Angesichts dessen obliegt es den Religionsgemeinschaften in eigener Verantwortung, kirchliche Steuergesetze und Hebesatzbeschlüsse zu erlassen. Sie sind dabei an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden. Kirchliche Steuergesetze müssen daher die Mindestanforderungen rechtsstaatlicher Steuererhebung erfüllen. Gestaltet eine Religionsgemeinschaft die Kirchensteuer in Anbindung an die staatliche Einkommenssteuer aus, so gilt für die Kirchensteuer das aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht das angegriffene Urteil des Oberverwaltungsgerichts. Auch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Zu Recht hat das OVG eine Bindung des kirchlichen Gesetzgebers an den Gleichheitssatz bejaht. Sein dabei gewonnenes Auslegungsergebnis ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das OVG hat weder Bedeutung und Tragweite des Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 6 WRV noch das kirchliche Selbstbestimmungsrecht verkannt. Zutreffend ist es davon ausgegangen, dass das unterschiedlich hohe Durchschnittseinkommen der Kirchenglieder in den Ländern Hamburg und Schleswig-Holstein die unterschiedliche Höhe der Hebesätze nicht zu rechtfertigen vermochte. Aufgrund der Wahl dieses Merkmals als Anknüpfungspunkt wurde in dem Erhebungsgebiet mit dem geringeren Durchschnittseinkommen ein höherer Hebesatz vorgesehen. Dies verstößt jedoch gegen Art. 3 Abs. 1 GG, der im Steuerrecht eine Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen gebietet. Dieser für den staatlichen Steuergesetzgeber verbindliche Maßstab gilt auch für den kirchlichen Steuergesetzgeber, wenn er - wie hier - die Kirchensteuer in Anbindung an die Einkommenssteuer erhebt. Die Kammer hat weiter ausgeführt, dass die bloße Zugehörigkeit von Teilen des Kirchengebiets zu verschiedenen Ländern nach der Verfassung kein hinreichender Differenzierungsgrund ist. Schließlich können die unterschiedlichen Hebesätze auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass deren Angleichung einen Konsens mit der katholischen Kirche erfordere. Eine diesbezügliche Übereinstimmung zwischen den Kirchen ist zwar für die staatliche Verwaltung der Kirchensteuer, nicht aber für die Beseitigung unterschiedlicher Hebesätze innerhalb der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche erforderlich.

Beschluss vom 19. August 2002 - Az. 2 BvR 443/01

Karlsruhe, den 17. September 2002