Bundesverfassungsgericht: Pressemitteilung Nr. 76/2001 vom 18. Juli 2001
Lebenspartnerschaftsgesetz kann in Kraft treten - einstweilige Anordnung abgelehnt
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat durch Urteil vom heutigen Tage den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen das In-Kraft-Treten des Lebenspartnerschaftsgesetzes am 1. August 2001 abgelehnt. Zur Begründung heißt es im Wesentlichen: Die Normenkontrollanträge der Länder Bayern, Sachsen und Thüringen gegen das Lebenspartnerschaftsgesetz sind weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Die Entscheidung über die einstweilige Anordnung hat daher aufgrund einer Folgenabwägung zu fallen. Geht es - wie hier - darum, ein Gesetz außer Kraft zu setzen, muss das BVerfG mit größter Zurückhaltung vorgehen, denn der Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen ein Gesetz ist stets ein erheblicher Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Nur dann darf deshalb ein Gesetz vorläufig außer Kraft gesetzt werden, wenn die Nachteile, die mit seinem In-Kraft-Treten bei späterer Feststellung seiner Verfassungswidrigkeit verbunden wären, in Ausmaß und Schwere jene Nachteile deutlich überwiegen, die im Falle der vorläufigen Verhinderung eines sich als verfassungsgemäß erweisenden Gesetzes einträten. Die Anrufung des BVerfG darf nicht zu einem Mittel werden, mit dem im Gesetzgebungsverfahren unterlegene Beteiligte das In-Kraft-Treten eines Gesetzes verzögern können. Zur Folgenabwägung führt der Senat aus: 1. Irreversible Nachteile für das Institut der Ehe sind durch das In-Kraft-Treten des Gesetzes nicht zu erwarten. Das rechtliche Fundament der Ehe wird nicht verändert; sämtliche Rechtsfolgen der Ehe bleiben unberührt. Ob die Einführung des neuen Instituts der Lebenspartnerschaft einem aus Art. 6 Abs. 1 GG hergeleiteten Abstandsgebot zuwiderläuft, ist eine verfassungsrechtliche Frage, die bei der Entscheidung über den Erlass einer einstweiligen Anordnung grundsätzlich außer Betracht zu bleiben hat. 2. Das Gesetz ist auch vollziehbar. Die Länder können hierzu Ausführungsgesetze erlassen und haben dies teilweise auch getan. Unterschiede in den Ausführungsgesetzen über Zuständigkeit und Verfahren führen nicht zu einem problematischen Mangel an Transparenz im Personenstandswesen. Sie sind vielmehr Ausdruck der föderalen Kompetenzzuweisung im Grundgesetz. Im Übrigen liegt es in der Entscheidungsgewalt der Antragstellerinnen selbst, in Abstimmung mit den anderen Ländern durch Erlass entsprechender Gesetze der Gefahr mangelnder Nachweisbarkeit des Personenstandes vorzubeugen. 3. Bei einer späteren Feststellung der Verfassungswidrigkeit und damit Nichtigkeit des Gesetzes entfiele rückwirkend die rechtliche Grundlage für eingetragene Lebenspartnerschaften und damit auch der sich darauf gründende personenrechtliche Status. Dies folgt aus § 79 BVerfGG, der die Ausnahmen vom Regelfall der Rückwirkung behandelt. Auch die Antragstellerinnen gehen davon aus. Rechtsfolgen zwischen den Partnern einer eingetragenen Lebenspartnerschaft und im Verhältnis zu Dritten müssten im Fall der Nichtigkeit des Gesetzes rückabgewickelt werden, soweit dies rechtlich und tatsächlich möglich ist. Die Rechtsordnung hält Regeln und Verfahren bereit, wie solche Probleme zu lösen sind. Diese Vorkehrungen verhindern den Eintritt von Rechtsunsicherheit. Auch vorliegend sind keine Folgen zu befürchten, die das übliche Maß bei Verfahren vor dem BVerfG, in denen Neuregelungen des Gesetzes auf dem verfassungsrechtlichen Prüfstand stehen, überschreiten. Auch im Hinblick auf die Vielzahl der geänderten Gesetze stellt das Lebenspartnerschaftsgesetz keine verfassungsrechtliche Besonderheit dar. Allein die Ungewissheit, ob eine gesetzliche Neuregelung vor dem BVerfG Bestand haben wird, und die damit verbundene Möglichkeit, dass schon erfolgte Rechtswirkungen rückgängig gemacht werden müssten, rechtfertigen es nicht, ein Gesetz im Wege der einstweiligen Anordnung auszusetzen. Anderenfalls hätte jeder Angriff gegen noch nicht in Kraft getretene Normen deren Aussetzung zur Folge. 4. Der Senat zeigt auf, dass bestimmte Rechtsfolgen des Lebenspartnerschaftsgesetzes nicht mehr rückgängig gemacht werden können, auch wenn sich das Gesetz später als verfassungswidrig erweisen würde. Dies gilt etwa für das Erbrecht oder das Zeugnisverweigerungsrecht eines Lebenspartners, auch für zu erwartende Einbürgerungen aufgrund des Gesetzes. Die in diesen Fällen bewirkten Nachteile überwiegen jedoch nicht eindeutig diejenigen, die einträten, wenn die einstweilige Anordnung erginge, das Gesetz sich jedoch später als verfassungsgemäß erwiese. So könnte der gesetzliche Erbanspruch des letztendlich Berechtigten gänzlich verloren gehen oder durch Verfügungen während des Schwebezustandes vereitelt werden, dies gilt gleichermaßen für den Lebenspartner wie etwaige Dritte. Die Möglichkeit testamentarischer oder erbvertraglicher Regelung schafft keinen vollwertigen Ersatz für das gesetzliche Erbe. Auch angesichts der nur wenigen zu erwartenden Einbürgerungen hätte demgegenüber eine Außerkraftsetzung des Gesetzes schwerwiegende Folgen: Die Lebenspartner müssten nicht nur vorübergehend auf eine Einbürgerung verzichten, sondern stünden in der fortdauernden Gefahr, ihre Partnerschaft nicht mehr oder gar nicht in Deutschland leben zu können. Die damit verbundene Belastung und die möglicherweise irreparablen Folgen für das Zusammenleben sind auch im Lichte des Persönlichkeitsschutzes von Art. 2 Abs. 1 GG hoch zu gewichten. Schon wenn die jeweiligen Nachteile der abzuwägenden Folgenkonstellationen einander in etwa gleichgewichtig gegenüber stehen, gebietet es die gegenüber der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers notwendige Zurückhaltung des Gerichts, das angegriffene Gesetz nicht auszusetzen. Für die vom Senat dargestellten Fälle irreversibler Folgen ist zumindest diese Gleichwertigkeit festzustellen. Bei einer Gesamtbetrachtung überwiegen die Nachteile bei Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung eindeutig. Zwar träte keine Rechtsunsicherheit ein und es wären auch keine Rechtsbeziehungen rückabzuwickeln. Es käme jedoch zu endgültigen Rechtsverlusten bei allen durch das Gesetz begünstigten Personen. Dies betrifft sämtliche Bereiche, die einer privatrechtlichen Gestaltung verschlossen sind. Die Folgen einer einstweiligen Anordnung bewirken auch dann einen Rechtsver- lust und nicht nur eine Rechtsverhinderung, wenn das BVerfG vor In-Kraft- Treten des Gesetzes entscheidet, denn schon mit der Verkündung hat der Gesetzgeber den Begünstigten die Rechte zuerkannt. Diese Rechtspositionen verlieren sie bis zur Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes unwiderruflich. 5. Der Vizepräsident Papier, die Richterin Haas und der Richter Steiner haben der Senatsentscheidung eine abweichende Meinung beigefügt. Sie sind der Auffassung, dass die Nachteile bei Nichtergehen der einstweiligen Anordnung eindeutig überwiegen. Das In-Kraft-Treten des Lebenspartnerschaftsgesetzes am 1. August 2001 hätte für eine unüberschaubare Zahl von Rechtsvorgängen und den allgemeinen Rechtsverkehr gravierende Auswirkungen. Würde sich das Gesetz im Hauptsacheverfahren als nichtig erweisen, wäre in jedem einzelnen Fall der bis dahin begründeten Lebenspartnerschaften bereits eine Vielzahl von Rechtswirkungen eingetreten. Die Feststellung der Nichtigkeit des Gesetzes würde zunächst die Frage nach dem Fortbestand der bis zu diesem Zeitpunkt eingetragenen Lebenspartnerschaften aufwerfen. Ungeklärt ist, ob der personenstandsrechtliche Status auch mit Wirkung für die Vergangenheit entfiele. Darüber hinaus wäre die Rückabwicklung der zahlreichen Folgen, sofern überhaupt möglich, mit erheblichen Schwierigkeiten und unabsehbaren Folgen für den Rechtsverkehr verbunden. Die Rechtssicherheit wäre dadurch - was die Senatsmehrheit verkennt - in nicht hinnehmbarer Weise beeinträchtigt. Die mit einem Aufschub des Lebenspartnerschaftsgesetzes verbundenen Nachteile fallen demgegenüber weniger ins Gewicht. Personen, die eine Lebenspartnerschaft eingehen wollen, können bereits nach der derzeitigen Rechtslage ihre Rechtsbeziehungen in weiten Bereichen durch Willenserklärungen in ihrem Sinne ordnen. Sie können sich etwa testamentarisch oder durch Erbvertrag als Erben einsetzen. Ebenso können sie sich auch heute schon wirksam z. B. ein Besuchsrecht für den Fall eines Krankenhausaufenthaltes einräumen und durch entsprechende Erklärung sichern. Soweit das Gesetz Rechtsvorteile gewährt, die sich ohne gesetzliche Grundlage nicht erlangen lassen, werden diese dem Betroffenen nur für den Zeitraum des Hauptsacheverfahrens vorenthalten. Dies ist zumutbar; denn gesicherte Rechtspositionen werden den Betroffenen entgegen der Auffassung der Senatsmehrheit nicht entzogen.
Urteil vom 18. Juli 2001 - Az. 1 BvQ 23/01, 1 BvQ 26/01
Karlsruhe, den 18. Juli 2001